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Von Dr. Monika Vogelgesang

Das Münchwieser Gruppentherapieprogramm für Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen

Einleitung

Nach ICD-10 (WHO, 1993) werden große seelische Traumatisierungen als Erlebnisse definiert, die mit einer an der eigenen Person erfahrenen, beobachteten oder direkt antizipierten massiven Verletzung der Integrität eines Menschen einhergehen.

Generell gilt dabei, dass die Traumatisierung als gravierender erlebt wird und ernsthaftere Folgen zeigt, wenn sie (willentlich) durch Personen verursacht wurde. Das heißt, wenn es sich um Misshandlungen, Überfälle oder sonstige kriminelle Taten handelt. Dabei hat die Traumatisierung eine umso destruktivere Kraft, je näher stehend die Person war, die diese verübt hat, und je brutaler dabei vorgegangen wurde. Gewalttätigkeiten und sexuelle Übergriffe bewirken dementsprechend desto häufigere und desto gravierendere psychische Folgestörungen, je näher die Täter(innen) dem Opfer stehen. Nach Gahleitner und Tödte (2015) führen wiederholte Traumata in Kindheit und Jugend nicht selten zu Suchterkrankungen.

Die höchste Wahrscheinlichkeit, davon eine posttraumatische Belastungsstörung sowie andere psychische Folgestörungen zu entwickeln, resultieren dementsprechend aus dem Erleiden wiederholter bzw. lang andauernder, zwischenmenschlich verursachter Traumatisierungen. So werden nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit nach Maercker & Menning (2008) regelmäßig in bis zu 70% der Fälle eine PTBS und weitere Traumafolgestörungen gefunden. Hauser et al. (2011) fanden in einer repräsentativen Umfrage bei 12% der deutschen Bevölkerung einen körperlichen Missbrauch sowie bei 12,5% einen sexuellen Missbrauch.

Traumatisierung und Substanzkonsum am Beispiel des sexuellen Missbrauchs

Beim Opfer führt eine Suchtmittelintoxikation zu einer Reduktion der Kritikfähigkeit und damit auch der Möglichkeit, sich selbst zu schützen. Diesen Aspekt machen sich die Täter nicht selten zunutze, indem sie das Opfer unter Alkohol oder Drogen setzen. Hierdurch wird darüber hinausgehend häufig auch eine sexuelle Enthemmung intendiert. Im Nachhinein wird durch die Suchtmitteleinnahme beim Opfer die täterinduzierte Eigenübernahme der Verantwortung für die Tat erleichtert. „Ich war selbst schuld daran, dass mir das passiert ist, da ich mich zuvor betrunken habe“. Dies kann Opfer daran hindern, die Tat anzuzeigen, sowie einen ausgeprägten Selbsthass und massive Schuldgefühle bedingen.

Traumaverarbeitung und Substanzkonsum

Betrachtet man die Auswirkungen von Suchtsubstanzen auf die Traumafolgesymptome, so reduzieren insbesondere sedierende Substanzen das traumabezogene Wiedererleben. Angst und Albträume werden weniger, ebenso das Hyperarousal. Der Schlaf verbessert sich, Entspannung wird ermöglicht. Das traumabezogene Vermeidungsverhalten kann vor diesem Hintergrund reduziert werden. Im Falle sexueller Traumata „ermöglichen“ Suchtmittel häufig das Erleben von Sexualität, welches ansonsten als Auslöser intensiver Intrusionen vermieden wird. Die Reduktion des Vermeidungsverhaltens unter Suchtmitteln stellt dann ein Risiko dar, wenn es sich auch auf wirkliche Gefahren bezieht. Somit steigt die Wahrscheinlichkeit einer Retraumatisierung.

Das Suchtmittel, das eigentlich eine Entlastung der traumabedingten Symptome bewirken sollte, führt paradoxerweise letztendlich dazu, dass eine weitere Traumaverarbeitung und damit schließlich auch eine Reduktion der Traumafolgesymptome verhindert werden.

Gruppenprogramm für Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen

Das Konzept, sich selbst als Überlebende nach einer Traumatisierung würdigen zu können, hat sich insbesondere nach kindlichem sexuellem Missbrauch sehr gut bewährt. Hierbei werden die Patientinnen dazu angeleitet, die Tatsache des Überlebthabens einer Traumaerfahrung als eine aktive, Kreativität und Stärke erfordernde Leistung anzuerkennen. Hier kann auch der Suchtmitteleinsatz als Überlebensstrategie gewürdigt werden. Diese Sicht soll dann einer einseitigen Opferperspektive entgegengestellt werden.

Vorbedingung für die Teilnahme an der Gruppe für Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen (Vogelgesang et al., 1998) ist eine ausreichende psychische Stabilität und nach Möglichkeit die abgeschlossene Erarbeitung der Imaginationsübung des sicheren Ortes. Vorab werden die an dem Angebot interessierten Patientinnen ausführlich über die klare Strukturierung informiert. Erst auf dieser Basis sollen sie eine Entscheidung für (oder gegen) die Teilnahme an der Gruppe treffen. Nur wer bereit und in der Lage ist, im Folgenden kurz und in ganz groben Zügen die sexuelle Traumatisierung anzusprechen, ist dazu befähigt, an der Gruppe teilzunehmen. Darauf aufbauend werden die Verhaltensweisen der Betroffenen im Sinne von „Überlebensstrategien“ eingeordnet. Hier nehmen auch die funktionale Analyse des Substanzkonsums und seine Verwobenheit mit der posttraumatischen Symptomatik einen breiten Raum ein. Aus dieser neuen Perspektive wird aus dem schwachen hilflosen Opfer eine starke Überlebende. Die zuvor als sinnlos eingestuften Symptome werden vor diesem Hintergrund in ihrer eigentlichen Funktion erkannt. Nun kann eine Bewertung der Überlebensstrategien und eine Entscheidung bezüglich ihrer Veränderung bzw. Aufgabe getroffen werden. Denn so manche Überlebensstrategie hat sich im Laufe der Zeit selbst als schädigend herausgestellt. Zwar ist es besser zu trinken, als sich vor lauter Verzweiflung umzubringen, doch kann auch der Alkoholkonsum zum vorzeitigen Tod führen. Hier gilt es nun, alternative, unschädliche Strategien des Um-gangs mit den traumatischen Erinnerungen zu finden.

Weitere Themen der Gruppe für Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen sind die Information über ambulante weiterführende Hilfemöglichkeiten, der Austausch über die Entstehung und den Abbau von Schuldgefühlen sowie eine vorsichtige Analyse der Einstellung der Betroffenen zu ihrem eigenen Körper. Die Gruppe kann phasenweise durchaus sehr belastend sein. Die Entlastung, sich endlich mit Gleichbetroffenen austauschen zu dürfen, das Erleben, dass einem geglaubt und man weiterhin angenommen, ja sogar geschätzt wurde, die Verminderung der Scham- und Schuldgefühle, die Erfahrung, dass das vom Täter aufgelegte Schweigegebot gebrochen werden konnte, ohne dass er sich deshalb rächen konnte, sowie die Selbsteinschätzung als starke Überlebende bewirken jedoch eine Reduktion der Ängste und eine Stärkung der Persönlichkeit, sodass von hier aus weitere positive Entwicklungs-schritte möglich werden.

In der MEDIAN Klinik Münchwies wird die dargestellte Gruppe durchgängig seit 1989 angeboten. Sie wird von zwei ärztlichen PsychotherapeutInnen geleitet. Durchschnittlich nehmen die Teilnehmerinnen an ca. 6-8 Doppelstunden teil.

Weitere frauenspezifische Gruppen

In der MEDIAN Klinik Münchwies, einer Klinik, die sowohl eine große Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen als auch eine psychosomatische Abteilung hat, werden noch weitere frauenspezifische indikative Gruppenprogramme angeboten, so z. B. eine Gruppe für weibliche Glücksspielerinnen, eine Gruppe Frauen und Abhängigkeit, eine Gruppe für Frauen mit Anorexia/Bulimia nervosa sowie eine Körperwahrnehmungsgruppe für Frauen


Dr. Monika Vogelgesang
Chefärztin
MEDIAN Klinik Münchwies

Turmstr. 50-58
66540 Neunkirchen/Saar
Tel.: +49 6858 691215
monika.vogelgesang@remove-this.median-kliniken.de