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Interview mit Petra Sarstedt-Hülsmann

„Ich gehe schon in die Radieschen…“ – Frauen in Leitung sozialer Unternehmen

Frau Petra Sarstedt-Hülsmann ist seit 2002 als Geschäftsführerin tätig und leitet die Lukas-Werk Gesundheitsdienste GmbH mit 185 Mitarbeitenden, die in der Region Südostniedersachsen ein flächendeckendes diakonisches Netzwerk ambulanter, teilstationärer und stationärer Hilfe für jährlich mehr als 4.000 suchtkranke Menschen vorhalten.
Corinna Mäder-Linke, Referentin des GVS, führte mit ihr ein Gespräch.

Sehr geehrte Frau Sarstedt-Hülsmann, würden Sie uns als erstes kurz das Unternehmen vorstellen, in dem Sie tätig sind und beschreiben, welche Position Sie darin bekleiden?

Ich bin seit 01.01.2002 als Geschäftsführerin der Lukas-Werk Gesundheitsdienste GmbH tätig und als solche verantwortlich für das operative Geschäft.

Das von mir geführte Unternehmen blickt auf eine lange und wechselvolle und Geschichte zurück, die immer eng mit dem Aufbau von Angeboten für suchtkranke Menschen verbunden war - und bis heute ist. So eröffnete der 1949 gegründete Heimkehrerdank e.V. nach Kontakten zu Betroffenen innerhalb der Kirchengemeinden bereits 1970 seine erste Beratungsstelle ür Suchtkranke in Braunschweig. Und dabei blieb es nicht. In den Folgejahren entstanden weitere Beratungs-stellen und Einrichtungen für von Suchtkrankheit betroffene Menschen in Südostniedersachsen unter dem Dach des Lukas-Werks.

1997 wurde die Suchtkrankenhilfe aufgrund der drohenden Insolvenz der Stiftung Lukas-Werk ausgegliedert und in die Lukas-Werk Suchthilfe gemeinnützige GmbH überführt.

Es waren schwierige Zeiten, vor allem für unsere Fachklinik in Salzgitter. Im Rahmen der notwendigen Sanierungsphase von 2002 bis 2004 mussten Betten reduziert und eine Beratungs-stelle geschlossen werden.

Im Zuge der Fusion der Diakonischen Werke in Niedersachsen wurde die Lukas-Werk Suchthilfe gGmbH im Mai 2012 von der Evangelischen Stiftung Neuerkerode übernommen und firmiert seitdem als Lukas-Werk Gesundheitsdienste GmbH.

Seit dem 01.01.2013 gehört auch der Integrierte Gesundheitsdienst Neuerkerode zum Lukas-Werk. Dort und seit dem 01.07.2017 im Medizinischen Behandlungszentrum in Braunschweig am Krankenhaus Marienstift bieten wir erwachsenen Menschen mit geistiger und schweren Mehrfachbehinderungen allgemeinmedizinische, neurologische und fachpsychiatrische Betreuung und Behandlung an.

Alles in allem kann man sagen, die Lukas-Werk-Gesundheitsdienste GmbH halten in der Region Südostniedersachsen ein flächendeckendes diakonisches Netzwerk ambulanter, teilstationärer und stationärer Hilfe vor. In sechs regionalen Fachambulanzen, den beiden Tageskliniken in Braunschweig und Northeim und in der Rehabilitations-Fachklinik Erlengrund werden in den Bereichen Suchtprävention und Suchtberatung, Rehabilitation und Gesundheitsförderung von uns jährlich mehr als 4.000 Menschen beraten, betreut und behandelt.

Das hört sich nach einer bewegten Erfolgsgeschichte an, an der Sie nun schon seit 16 Jahren schreiben. Wollten Sie schon immer eine Tätigkeit im sozialen Bereich ergreifen oder welche Berufswünsche hatten Sie in Ihrer Kindheit?

Ja, im Grunde genommen wollte ich schon immer im sozialen Bereich arbeiten, dachte allerdings ursprünglich daran, Psychologie zu studieren.

Was hat zu Ihrer Entscheidung beigetragen, einen sozialen Beruf zu wählen und so den Sozialbereich als Ihr berufliches Betätigungsfeld zu definieren?

Mich hat interessiert, und das tut es noch immer, warum sich Menschen wie entwickeln und welche Rolle bestimmte Einflussfaktoren dabei spielen. Letztendlich fiel meine Entscheidung auf ein Sozialpädagogikstudium, weil mich dabei die Praxisnähe angesprochen hat. Gleichzeitig war ich sehr froh, mich bei dieser Studienwahl nicht mit Statistik beschäftigen zu müssen, was in der Ausbildung zur Diplom-Psychologin doch einen erheblichen Stellenwert eingenommen und mir eher wenig zusagt hätte.

Dass ich letztendlich in der Suchthilfe „gelandet bin“, war Zufall. Mein Berufspraktikum absolvierte ich beim Sozialpsychiatrischen Dienst in Braunschweig und erhielt dann 1984 eine ABM in einer Suchtberatungsstelle beim Lukas-Werk. Ich kenne die Suchthilfe und das Unternehmen also von der Pieke auf.

Dann haben Sie sich also sozusagen bewusst gegen Statistik und damit gegen ein – zumindest in den ersten Semestern - zahlendominiertes Studium entschieden. Nun sind Sie als Geschäftsführerin tätig, für die „Zahlen“ sicherlich eine Rolle spielen…

Ja, schon, aber eben nicht nur. Mir ist wichtig, eine hohe Qualität der therapeutischen Arbeit mit der Sicherung der wirtschaftlichen Situation meiner Einrichtungen zu verbinden. Qualität der Arbeit heißt für mich einerseits, dass unsere Klienten wiederkommen bzw. bleiben. Andererseits lege ich sehr viel Wert darauf, dass in den Einrichtungen konstruktiv zusammengearbeitet wird. Konflikte im Team, davon bin ich überzeugt, übertragen sich immer auf unsere Patienten, so dass jeder einzelne Mitarbeitende und selbstverständlich die Leitungen, mich eingeschlossen, in Verantwortung sind, Unstimmigkeiten anzusprechen und gemeinsam an der Lösung von Problemen zu arbeiten.

Darüber hinaus machen sowohl politische Aktivitäten als auch Netzwerk- bzw. Lobbying meinen Berufsalltag interessant. Mir macht es Spaß, Kontakte zu knüpfen und zu halten.

Und gleichzeitig ist es mir wichtig, immer wieder neu darüber nachzudenken, wie wir Klienten frühzeitig erreichen, wie Ressourcen des komplexen Systems der Suchthilfe genutzt werden können, wie ein adäquates Case Management wirkt. Und ich sehe es als meine Aufgabe an, meine Expertise zu den verschiedenen Themen nicht für mich zu behalten, sondern gegenüber der Politik und in der Öffentlichkeit zu vertreten. Momentan beschäftigt uns in Niedersachsen z. B. die Frage, wie die Arbeit der ambulanten Fachstellen abgesichert und zukunftsfähig aufgestellt werden kann.

Finden Sie Frauen leiten Unternehmen anders als Männer?

Nun ja, wenn ich von mir spreche, kann ich sagen: „Ich gehe auch in die Radieschen“. Das heißt, ich sehe genau hin und kreise nicht nur wie mit einem Hubschrauber über meinen Teams, der therapeutischen Arbeit oder den Problemen. Ich kenne jeden meiner 185 Mitarbeitenden mit Namen, besuche mindestens einmal pro Jahr jede Einrichtung und weiß um die Details, die die Arbeit vor Ort ausmachen. Ich glaube schon, dass es eher frauentypisch ist, einen solchen kooperativen Führungsstil ganz nahe an den Angestellten und Klienten zu praktizieren. Und ich denke, Frauen lernen von Kindheit an sehr gut, zu kommunizieren, Kontakte zu knüpfen, in eine Si-tuation hineinzugehen, anzupacken und nicht nur aus der Ferne zu beobachten.

Kennen Sie aus Ihrem Berufsalltag Schwierigkeiten, von denen Sie sagen würden, dass diese eher „frauentypisch“ sind bzw. mit denen Männer nicht „zu kämpfen“ haben?

Als ich die Leitung der Beratungsstelle übernahm, war ich bei meinem Träger die erste Frau in Leitungsfunktion. Und ehrlich gesagt, musste ich mich schon durchbeißen und durfte nicht zimperlich sein. Allerdings fiel mir das nicht schwer. Ich bin konfliktfähig und hartnäckig. Diese Eigenschaften waren sehr hilfreich, meinen Platz in der damaligen Männerwelt zu finden und zu behaupten.

Was denken Sie, warum vergleichsweise wenige Frauen in Führungspositionen zu finden sind?

Meine Erfahrung ist, dass Männer oftmals unter sich, Leitungspositionen vermitteln, so dass eine Frau gar nicht gefragt ist und keine Chance hat, ihre Kompetenzen unter Beweis zu stellen. Deshalb finde ich eine Frauenquote wichtig, um die männliche Kultur auf Leitungsebene erst einmal zu durchbrechen.

Vor allem in der Suchthilfe kann man den Eindruck gewinnen, dass männliche Klienten von Mitarbeiterinnen behandelt werden, die von männlichen Vorgesetzen geführt werden. Oder?

Das kann ich für meine Einrichtungen nicht bestätigen. Wir haben vier weibliche Leiterinnen, ich bin eine Geschäftsführerin und auch im Vorstand sind Frauen tätig.

Haben Sie sich in Ihrem Berufsleben bewusst entschieden, Verantwortung zu übernehmen?

Als mein Chef damals die Einrichtung verlassen hat, habe ich mich aus meiner Position als stellvertretende Leiterin der Fachstelle heraus gerne als seine Nachfolgerin beworben und dabei ganz klar kommuniziert „Ja, ich will das. Ich strebe eine Leitungsfunktion an und möchte Verantwortung übernehmen“.

Ein Kollege mit ausgezeichneter Qualifikation und profilierter Erfahrung hatte sich ebenfalls um die Stelle beworben, aber man entschied sich letztendlich für mich.

Hat sich das negativ auf ihre Zusammenarbeit ausgewirkt?

Nein, wir waren vorher befreundet und sind es noch immer. Mein Kollege hat dann die Leitung unserer Fachklinik übernommen.

Und die Übernahme der Geschäftsführung war dann der nächste Karriereschritt…

Ja, auch bei der Übernahme der Tätigkeiten der Geschäftsführung habe mich ganz bewusst dafür und damit für eine Leitungstätigkeit entschieden – allerdings dachte ich eigentlich, das Unternehmen zu wechseln.

In den Ansichten des damals beauftragten Sanierungsgeschäftsführers des Lukas-Werkes konnte ich mich nicht wiederfinden. Und so hatte ich bereits einen Arbeitsvertrag für eine Stelle als Geschäftsführerin eines anderen Trägers in Schleswig-Holstein unterschrieben, als dann plötzlich die Anfrage des Lukas-Werkes kam, ob ich nicht bei dem Träger bleiben und hier als Geschäftsführerin tätig sein möchte. Ich musste erst einmal darüber nachdenken, was eine Woche in Anspruch genommen hat, denn schließlich war mir klar, dass ich einen „Sanierungsfall“ übernehme.

Letztendlich habe ich zugesagt und heute bin ich froh, dies getan zu haben – und stolz auf den guten Ruf unserer Einrichtungen, auf die hohe Qualität unserer Arbeit und auf das gute Miteinander und die enge Zusammenarbeit unter den Kolleginnen und Kollegen, aber auch die Hierarchieebenen übergreifend.

Was würden Sie mit Ihrer Erfahrung Frauen empfehlen, die eine Leitungsposition anstreben?

Ich bin Diplom-Sozialpädagogin, Sozialtherapeutin, habe eine Approbation als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und muss sagen, Leitung und Personalführung lernt man in keinem Studium. Deshalb ist es so wichtig, sich in Leadership zu qualifizieren. Ich persönlich finde den Ansatz der systemischen Organisationsentwicklung wertvoll, und nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist es für mich unerlässlich, sich in den Bereichen Personalführung und Organisationsentwicklung weiterzubilden, wenn man in einer Leitungsfunktion tätig sein möchte.

Was ich jeder empfehlen würde, die eine Leitungsstelle anstrebt bzw. innehat, ist darüber hinaus, über Coaching immer wieder schwierige Situationen zu reflektieren, sich zu entlasten, sich externe Begleitung und Beratung einzuholen. Ich bin überzeugt, dass man dadurch ein ganzes Stück der notwendigen Kraft schöpft – auch indem man, einen Schritt zurückgeht und sich den Überblick über bestimmte Situationen immer wieder neu verschafft. Allerdings gilt das nicht nur für Frauen, sondern ebenso für Männer, die in Führungspositionen arbeiten bzw. dies anstreben.

Liebe Frau Sarstedt-Hülsmann, herzlichen Dank für das interessante Interview.


Petra Sarstedt-Hülsmann
Geschäftsführerin
Lukas-Werk Gesundheitsdienste

Rosenwall 3a
38300 Wolfenbüttel
Tel.: +49 5331 8852 0
p.sarstedt-huelsmann@remove-this.lukas-werk.de