Weibliche Karrierearbeit in der Sozialen Arbeit
Vorbemerkung
Wie gestalten Frauen in der Sozialen Arbeit ihre Berufsbiographien? Ergebnisse eines Forschungsprojektes1 an der FHS St.Gallen (CH) zeigen, dass für Frauen die individuelle Gestaltung des eigenen Lebensweges im Zentrum steht, mit dem Ziel einen persönlichsinnvollen Werdegang zu kreieren. Das Anstreben von gesellschaftlichen Positionen spielt für sie dagegen weniger eine Rolle.
In der Literatur zur Berufs- und Professionsentwicklung der Sozialen Arbeit ist es weitgehend Konsens, dass die Geschlechterdimension ein zentraler und systematischer Bestandteil der historischen und aktuellen Entwicklung des Berufes ist (vgl. Gildemeis-ter 2007). Darauf verweist u.a. die bekannte Rede von „Sozialer Arbeit als Frauenberuf“ (Maurer 2001: 1598), die ihr ein weiblich dominiertes Bild in der Vergangenheit wie heute attestiert (vgl. Gil-demeister 2007). Wie gestalten nun vor dem Hintergrund einer vergeschlechtlichten Berufsentwicklung in der Sozialen Arbeit Frauen ihre individuellen Berufsbiographien? In den nun folgenden Ausführungen werden (Teil-)Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojektes der FHS St.Gallen (CH) vorgestellt. Das Projekt mit dem Titel „Karrierekonzeptionen von Männern und Frauen aus Wirtschaft, Technik, Sozialer Arbeit und Gesundheit“ wurde im Zeitraum von September 2009 bis Mai 2012 durchgeführt und gefördert vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT).
«Doing Karriere»: Eine (neue) Perspektive in der Berufs- und Karriereforschung
Ausgangspunkt des Forschungsteams waren die derzeit politisch wie öffentlich vielfältig diskutierten Schwierigkeiten von Frauen, Führungspositionen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zu besetzen. Die Abhängigkeit von strukturellen Rahmenbedingungen, von Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie von männlich geprägten Aufstiegskulturen steht in vielen Forschungen im Zentrum. Dominierend ist hier die Frage, welche individuellen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine Karrierewahrscheinlichkeit von Frauen entstehen lassen.
Wenig bis gar nichts ist allerdings darüber bekannt, welche Form der Karriere bzw. Berufsbiographie Frauen und Männer eigentlich anstreben und wie sie den Weg dorthin persönlich für sich gestalten. An diesem Desiderat setzt das Forschungsprojekt an und richtet das Erkenntnisinteresse auf das Herausarbeiten von Idealtypen von Karrierekonzeptionen von Frauen. Dabei stand die leitende Frage nach der individuellen „Karrierearbeit“ im Zentrum. In Anlehnung an Keupp`s Konzept der Identitätskonstruktion verstehen wir „Karrierearbeit“ als einen subjektiven Konstruktionsprozess, in dem jeder/jede Einzelne vor dem Hintergrund von gegenwärtigen Individualisierungsprozessen der Gesellschaft eine Kohärenz zwischen innerer und äußerer Welt sucht (vgl. Keupp et al. 2002). Unserem Verständnis nach handelt es sich daher bei „Karrierekonzeption(en)“ um „Praktiken der Karrierearbeit“ (vgl. Reckwitz 2008), die auf eine spezifische Art und Weise beschreiben, wie jeder/jede Einzelne im Handeln mit seinen/ihren biographischen Besonderheiten und den gesellschaftlich vorhanden Deutungsmustern von Karriere bzw. Berufsbiographie umgeht, individuell Sinn herstellt und Karriere praktiziert. Durch diese Perspektive gelingt es, einen Blick auf die (Re)Produktion (neuer) sozialer Entwürfe von Frauen (im Verhältnis zu Männern) in der Sozialen Arbeit zu werfen. Auf dieser Grundlage wurden in den Jahren 2010 und 2011 83 biographischnarrative Interviews mit Frauen und Männern aus den Bereichen Soziale Arbeit, Gesundheit (d.h. Pflege), Wirtschaft und Technik geführt und anschließend mithilfe der Grounded Theory (vgl. Strauss/ Corbin 1996) ausgewertet.
Individuelle Gestaltung des eigenen sinnhaften Lebenswegs
Im Rahmen des Auswertungsprozesses zeigte sich, dass für Frauen in der Sozialen Arbeit deutlich im Vordergrund die individuelle Gestaltung des eigenen Lebensweges steht, verbunden mit dem Ziel einen persönlich-sinnvollen Werdegang zu kreieren. Die zentrale Frage lautet hier: Wie entwerfe ich mich im oder vermittelt über den Werdegang? Damit wird die Vorstellung verbunden, dass der berufliche und private Weg als Medium für individuelle Aspirationen wie des sich selber verwirklichen oder eben auch des sich selber Entdeckens dient: als fachliche Selbstverwirklichung in Selbstständigkeit, als reflexives Weiterkommen mit offenem Ausgang oder auch als ein einzigartiges Karriere gehen können. Dominant geprägt wird diese „Karrierearbeit“ von einem hohen Maß an Reflexivität und Offenheit, sich weiterlernend auf den Weg einzulassen und Erfahrungen für neue Schritte auszuwerten. Die Arbeit an dem eigenen Selbst rückt gerade im breiten und weniger differenzierten Berufsfeld der Sozialen Arbeit in den Mittelpunkt und erlaubt, auch oder insbesondere vor dem Hintergrund der Vereinbarkeitsfrage von Familie und Beruf, einen individuellen und einzigartigen Weg zu gehen.
Regulierung ungewisser Berufs-, Selbst- und Fremdbilder
Daneben lässt sich ein weiterer Idealtyp herauslesen, der für Frauen in der Sozialen Arbeit eine Rolle spielt:
Ungewisse Berufs-, Selbst- und Fremdbilder im Berufsweg regulieren.
Konkret sind es u.a. Laufbahnvorstellungen des Vaters, Statuserwartungen des Herkunftsmilieus, Vorbilder, Idealvorstellungen vom Helfen, die die Frauen prägen. Das besondere dieser „Karrierearbeit“ besteht darin, dass in der Gestaltung der Berufsbiographie diese Bilder hintergründig mitreguliert werden, sei es, dass ein Bemühen besteht, im Berufsweg immer wieder auf die starken Zustandsbilder hin zu arbeiten oder sei es, dass im Berufsweg ein Pendeln zwischen den widersprüchlichen Selbst- und Fremdbildern erfolgt. Sichtbar wird dieser Prozess durch eine subjektiv immer mitschwingende Unsicherheit, die insbesondere in der Ausbildungs- und Berufswahl sowie bei anstehendem Entscheiden für einen neuen Arbeitgeber zu Tage tritt.
Damit lassen sich Frauen in der Sozialen Arbeit mit dieser „Karrierearbeit“ einerseits von diesen hintergründigen Bildern leiten und andererseits, so könnte man sagen, regulieren sie im Berufsweg ihre Ungewissheit, in dem sie sich an diesen Bildern auch abarbeiten. Dieser Idealtyp weist unter anderem auf die Mächtigkeit gesellschaftlicher Geschlechterbilder hin, der in der Sozialen Arbeit insbesondere durch das Ideal von der geistigen Mütterlichkeit geprägt wird (vgl. Maurer 2001). In den Fallmaterialien zeigte sich dazu, dass diese wirkmächtigen Bilder in ihren einseitigen Zuschreibungen - oft vermittelt durch die familiäre Sozialisation aber auch weiter gepflegt in den Organisationskulturen – den Frauen, aber auch Männern nicht wirklich bewusst sind.
Der Einfluss von Fachkultur und Berufsfeld
Neben diesen beiden identifizierten Typen lässt sich aus dem erhobenen Material auch herauslesen, dass das Anstreben von gesellschaftlichen Positionen für Frauen in der Sozialen Arbeit weniger eine Rolle spielt. Das könnte u.a. daran liegen, dass in der Sozialen Arbeit ein klar hierarchisch strukturiertes Feld von beruflichen Positionen nicht existiert und damit auch nicht klar strukturierte Angebote von Karriereschritten bestehen.
Daraus kann man zusammenfassend resümieren, dass auf die individuelle Gestaltung der Berufsbiographien von Frauen insbesondere die Fachkultur bzw. das Berufsfeld Einfluss nimmt. Hier gälte es, innerhalb der Sozialen Arbeit die eigenen dominierenden vergeschlechtlichten Bilder und Berufsfeldstrukturen zu hinterfragen und damit bearbeitbar zu machen, damit diese individuell in der Gestaltung der eigenen Berufsbiografien von Frauen nicht als Stolpersteine wirken, sondern immer der bewussten und expliziten Verhandlung zugänglich sind. Auf diesem Wege erweitert sich der Handlungsspielraum im Kontext der Berufswahl und Gestaltung des eigenen sinnhaften Werdegangs in der Sozialen Arbeit.
1 Mitglieder des Projektteams waren: Ursula Graf (FHS St.Gallen, Fachstelle Chancengleichheit, Institut für Gender und Diversity der FHO), Roer Martin und Sibylle Olbert (beide FHS St.Gallen, Institut für angewandte Betriebsökonomie und Qualitätsmanagement), Mandy Falkenreck und Annegret Wigger (beide FHS St.Gallen, Institut für Soziale Arbeit).
Literatur:
- Gildemeister, Regine (2007): Soziale Arbeit als Frauenberuf: Wurden soziale Hilfstätigkeiten vergeschlechtlicht oder Frauen im Beruf versozialarbeitet? In: Kraus, E.Jürgen/ Möller, Michael/ Münchmeier, Richard (Hrsg.): Soziale Arbeit zwischen Ökonomisierung und Selbstbestimmung. Kassel, S.613-636.
- Keupp, Heiner/ Ahbe, Thomas/ Gmür, Wolfgang/ Höfer, Renate/ Kraus, Wolfgang/ Mitzscherlich, Beate/ Straus, Florian (2002): Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Erweiterte Neuauflage. Reinbek.
- Reckwitz, Andreas (2008): Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. In: Reckwitz, Andreas: Unscharfe Grenzen. Perspektiven der Kultursoziologie. Bielefeld, 97-130.
- Strauss, Anselm/ Corbin, Juliet (1996): Grounded Theory: Grundla-gen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim.

Mandy Falkenreck
Dozentin am Institut für Soziale Arbeit
FHS St.Gallen (CH)
Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Rosenbergstrasse 59
9001 St.Gallen
Tel.: +41 71 226 18 79
mandy.falkenreck@ fhsg.ch