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Von Hendrik Epe

Organisationale Digitalkompetenz – erste Schritte zur Digitalisierung Sozialer Organisationen

Vorbemerkung

Die Digitalisierung ist in sozialen Organisationen angekommen. Aber: Was genau ist unter „der Digitalisierung“ zu verstehen? Und vor allem: Wo setzen Handlungsmöglichkeiten an, damit auch soziale Organisationen
„digitalkompetent“ werden können?

Wichtig ist, dass es auf die Fragen keine „Standard-Antworten“ geben kann. Digitalisierung beginnt bei jedem Einzelnen in der Frage digitaler Grundhaltungen, geht über Fragen organisationaler Nutzung sozialer Medien oder der Entgrenzung und Flexibilisierung von Arbeit insgesamt bis hin zur Frage gesamtgesellschaftlicher Transformation und der Auflösung bislang als sicher geltender gesellschaftlicher Rahmenbedingungen.

Der Blick auf soziale Organisationen zeigt ferner, dass diese hochgradig heterogen sind: Von der kleinen Beratungsstelle bis hin zum Komplexträger mit mehreren tausend Angestellten stellen sich Fragen erfolgreicher Digitalisierung im Detail grundlegend anders.

Trotz der sich schon hier zeigenden Komplexität wird im Folgenden der Versuch unternommen, erste „Schritte“ als Weg zur erfolgreichen Digitalisierung sozialer Organisationen zu skizzieren. Dadurch werden Möglichkeiten eröffnet, die Organisation im Prozess der stetigen Veränderung zu halten. Wichtiger als die übergreifende Beschäftigung mit dem Thema ist jedoch, sich selbst (Wo stehe ich?) ebenso wie die eigene Organisation (Wo stehen wir?) im Kontext der Digitalisierung zu reflektieren.

Worüber sprechen wir eigentlich?

Digitalisierung verstanden als digitale Transformation lässt sich als Entwicklung begreifen, die, auf Technologie basierend, zu umfassenden Veränderungen aller Lebensbereiche führt. Digitalisierung betrifft damit Menschen, Organisationen ebenso wie die Gesellschaft und damit selbstverständlich auch die Soziale Arbeit.

Neue technische Möglichkeiten schaffen Realitäten, die sich dann in verändertem Verhalten der Menschen, einer veränderten Arbeitswelt und einem veränderten gesellschaftlichen Zusammenleben widerspiegeln. Als aktuelles Beispiel für diese Entwicklung lässt sich die Nutzung technischer Assistenzsysteme anführen, die den häuslichen Alltag für Menschen mit Beeinträchtigungen erleichtern sollen.1 Zukünftig spannend werden auch für soziale Organisationen unter anderem die Nutzung großer Datenmengen (big data), die Entwicklung künstlicher Intelligenz (artificial intelligence, AI) oder die Anwendungsmöglichkeiten virtueller Realitäten (VR).2

Schritte auf dem Weg zur digitalkompetenten sozialen Organisation

Wie kann es aber angesichts der komplexen Herausforderungen und dynamischen Entwicklungen gelingen, eine „digitalkompetente soziale Organisation“ zu werden? Hier lassen sich fünf Prozessschritte aufzeigen, die individuelle Antworten ermöglichen:

1. Standort bestimmen

Zunächst ist es wichtig, im Sinne eines "Digitalisierungschecks" den individuellen digitalen Standort, den digitalen Reifegrad zu bestimmen. Dabei ist die Organisation ganzheitlich in den Blick zu nehmen: Von der IT-Infrastruktur über die Organisationsstruktur, die Prozesse und die (Digital-)Strategie bis hin zur Führung und Innovation sind alle Bereiche der Organisation zu betrachten.

Von Bedeutung ist auch, sich mit den Schnittstellen der eigenen Organisation nach außen (bspw. Kostenträger, Konkurrenz) zu befassen, um zu verstehen, wie Digitalisierung im Umfeld gelebt wird. Intern relevant ist die Frage, wie zusammengearbeitet wird und wie dies zukünftig geschehen soll: Wie selbstorganisiert arbeiten Menschen und Teams in der Organisation? Welche Möglichkeiten haben sie, ihr wirkliches Potential zu entfalten?

Auch wenn diese Fragen „weich“ klingen, sind sie für die erfolgreiche Digitalisierung unabdingbar: Nur wenn es in der Organisation gelingt, agil und selbstorganisiert auf Veränderungen zu reagieren, besteht die Chance, echten Mehrwert für die Organisation und vor allem für die beteiligten Menschen zu generieren und gleichzeitig erfolgreich Neues zu implementieren.

Als "Kollateralnutzen" steigt übrigens die Arbeitgeberattraktivität: Wenn der Zweck der Organisation und damit die Arbeit mit Menschen wieder in den Vordergrund rücken, arbeiten die Menschen gerne in der jeweiligen Organisation.

2. Maßnahmen ableiten

Aus den Ergebnissen des Digitalisierungschecks sind Maßnahmen in den einzelnen Bereichen abzuleiten. Was kann bspw. im Recruiting digital anders gemacht werden? Welche Möglichkeiten ergeben sich durch die Digitalisierung in der Zusammenarbeit der Mitarbeitenden? Welche neuen Marketingkanäle eröffnen sich, wenn die Nutzenden sozialer Dienstleistungen zunehmend mehr Wahlmöglichkeiten haben? Welche konkreten Maßnahmen lassen sich daraus ableiten? Auch hier lohnt sich der Blick nach außen: Welche Maßnahmen lassen sich mit den Organisationen gestalten, die mit der eigenen Organisation in engem Kontakt stehen? Hier sind auch „Konkurrenzorganisationen“ in den Blick zu nehmen, da sich über erfolgreiche Kooperationen völlig neue (digitale) Problemlösungen ergeben und Kosten (bspw. für die Ausbildung) geteilt werden können.

3. Experimente machen

Die Liste der abgeleiteten, digitalen organisationsinternen wie -externen Maßnahmen ist aufgrund der Ganzheitlichkeit des Themas häufig lang. Entsprechend ist es wichtig, sich eine Maßnahme nach der anderen herauszugreifen und experimentierend mit der Umsetzung zu beginnen. Es geht dabei nicht darum, neue Großprojekte zu planen, zu strukturieren und umzusetzen. Es geht nicht darum, die Organisation von heute auf morgen auf den Kopf zu stellen. Es geht bei den Experimenten vielmehr darum, in kurzen Schleifen (Iterationen) vorzugehen und den Fortschritt der Umsetzung der jeweiligen Maßnahme zu begleiten. Dadurch ist es möglich, schnell gegenzusteuern, das Experiment zur Not zu beenden oder die nächste Maßnahme schnell anzugehen.

4. Oben ohne geht es nicht

Wesentlich für organisationale Veränderung und eine Ausrichtung der Gesamtorganisation (auch) auf digitale Anforderungen ist die Unterstützung durch die oberste Führungsebene. Voraussetzend ist hier zum einen ein „digitales Verständnis“ für die sich ergebenden Veränderungen sowie ein Grundvertrauen in das unter Punkt 3 skizzierte iterative Vorgehen. Digitalisierung ist ganzheitlich zu denken und lässt sich aufgrund der strategischen Bedeutung nicht wegdelegieren, auch wenn Maßnahmen von den jeweiligen Menschen und Teams eigenverantwortlich umgesetzt werden können. Die Digitalisierung sozialer Organisationen ist damit ein eindeutig strategisches Thema.

5. Fünf Schritte vergessen

Die skizzierten Schritte klingen wie ein einfach umzusetzendes Rezept. Tiefgreifende Veränderungen sozialer Systeme (und damit sozialer Organisationen) lassen sich jedoch nicht rezepthaft und maschinenartig umsetzen, auch wenn dies die gängige Change-Management-Literatur vermitteln will. Das unter Punkt 3 beschriebene Vorgehen ist zweckdienlicher: Nur durch Experimente, nur durch die permanente Entwicklung im Sinne des „PDCA-Zyklus“ (Plan, Do, Check, Act) wird organisationales Lernen – auch und gerade in Bezug auf das Thema Digitalisierung – möglich. Wie gesagt: Standardlösungen kann es nicht geben. Dafür ist das individuelle Ergebnis der jeweiligen Organisation umso nachhaltiger.

Das trojanische Pferd

Gelingende Digitalisierung sozialer Organisationen lässt sich, wenn man so will, zusammenfassend als „trojanisches Pferd“ für ganzheitliche Organisationsentwicklung begreifen. Dabei darf Digitalisierung kein Selbstzweck sein. Sie gelingt nur, wenn echter Mehrwert für die Stakeholder – insbesondere die Nutzenden, Mitarbeitenden und Führungskräfte – generiert wird. Dieser Nutzen muss im Vordergrund stehen - unabhängig davon, ob es sich um digitale Kommunikation oder um die Gestaltung digitaler Geschäftsprozesse handelt.


1 vgl. http://www.pflegewiki.de/wiki/Ambient_Assisted_Living

2 vgl. Mack, Th.: Big Data: Chancen für die Sozialwirtschaft in: Kreidenweis, H. (Hrsg., 2018): Digitaler Wandel in der Sozialwirtschaft, Grundlagen - Strategien – Praxis. Nomos, 215 – 222.

Leseempfehlung:
Kreidenweis, H. (Hrsg.): Digitaler Wandel in der Sozialwirtschaft. Grundlagen - Strategien - Pra- xis. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden), 2018.


Hendrik Epe
Diplomsozialarbeiter/-pädagoge (FH)
Master of Arts, Sozialmanagement
Forschungskoordinator
Katholische Hochschule Freiburg

Hendrik Epe berät und begleitet soziale Organisationen
bei (auch digitalen) Veränderungsprozessen.
he@remove-this.ideequadrat.org