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Kommentar von Henning Reichel

 

 ... zunächst mal gratuliere ich zu dem gelungenen Auftakt-Heft!

Sehr erfreulich, dass Sie sich des tatsächlich zunehmend brisanten Themas der kommunalen Finanzierung annehmen und auch Frau Mortler dafür sensibilisieren konnten.

Zu dem Aufsatz der Herren Renzel und Prof.Bossong muss ich jedoch unbedingt etwas anmerken:

Die Schwierigkeiten der Finanzierung über den alljährlichen Weg der Beantragung, Bewilligung und Abrechnung kommunaler Fördermittel sind sehr zutreffend beschrieben. Zuwendungsverträge können die Probleme zwar mildern, aber nicht auflösen. Außerdem werden sie leider nicht überall verwendet. Für viele Träger ist das Betreiben von Suchtberatungs- und Behandlungsstellen inzwischen ein wirtschaftliches Risiko geworden.

Jedoch: Der vorgeschlagene Finanzierungsmix aus       

1. Vollfinanzierung der Infrastrukturkosten

2. Subventionierung des niedrigschwelligen Bereichs (Tagesaufenthalte etc.)

3. kostendeckender Entgeltfinanzierung aller strukturierten Beratungs-, Therapievermittlungs- und Betreuungsleistungen

hat zwei entscheidende Haken im Punkt 3.

  1. Eine leistungsbezogene Finanzierung löst keinesfalls die Problematik der Träger. Die Risiken verschieben sich nur. Während zum Beispiel die im Suchtbereich ausgesprochen hohe Ausfallquote von Beratungen (durch Absagen oder Nichterscheinen) vielleicht aufgrund von Erfahrungswerten noch ungefähr eingepreist werden könnte, ist das bei der insgesamt nicht nachvollziehbar schwankenden Inanspruchnahme von Einzelberatungen, Gruppenangeboten oder auch Therapievermittlungen nach meiner Erfahrung von über 30 Jahren in der ambulanten Suchthilfe so nicht möglich. Schon in der hochschwelligen Ambulanten Rehabilitation ist das eines der großen Probleme – neben den unzureichenden Kostensätzen.
     
  2. Die Autoren selbst schreiben im folgenden Absatz von der Notwendigkeit, Leistungsansprüche der suchtkranken Klienten (und übrigens auch der Angehörigen von Suchtkranken) zu normieren. Die Inanspruchnahme der Beratung würde dann eine Bedarfsprüfung durch den Kostenträger – am ehesten wohl durch das kommunale Gesundheitsamt – nach sich ziehen. Damit würde ein wichtiger Vorteil der Beratungsstellen entfallen: die Niedrigschwelligkeit , die sich durch die voraussetzungslose Inanspruchnahme ergibt.

Gerade, dass der Besuch einer SBB nicht antragsbewehrt ist, macht es vielen Klientinnen und Klienten erst möglich, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Sie können auch schon im Stadium der Ambivalenz kommen, weil sie sich eben nicht öffentlich outen müssen zu einem Zeitpunkt, wo sie dazu noch gar nicht in der Lage sind.

Ein erheblicher Teil des Klientels würde dann die Beratungsstellen gar nicht mehr aufsuchen – alle, die einen Ruf zu verlieren haben oder das zumindest glauben: z.B. städtische Beamte, Handwerksmeister, Lehrerinnen, Personen des öffentlichen Lebens… Diese Klientel, die nicht seltener suchtkrank ist als andere, würde sich einer behördlichen Bedarfsfeststellung entziehen, so lange es nur geht – und damit die Krankheit chronifizieren.

Außerdem wäre eine solche Bedarfsfeststellung in vollkommenen Widerspruch zum Krankheitsverständnis der Sucht – bei welcher Krankheit muss ich als Betroffener sonst erstmal eine amtliche Bedarfsfeststellung machen lassen, bevor ich Hilfe bekomme? Ganz im Gegensatz dazu ist beim Aufsuchen einer Arztpraxis sogar für die Kostenträger die Diagnose, die ärztliche Beratung und nichtmedikamentöse Behandlung durch Abrechnung über die KV nicht erkennbar –  sie wird es erst, wenn jemand Medikamente verordnet bekommt oder krankgeschrieben wird oder ins Krankenhaus muss.

Für die hochschwelligen Behandlungsangebote wie Krankenhaus oder Rehabilitation ist das passend, für die auf Krankheitseinsicht, Motivation und Krankheitsbewältigung ausgerichtete Beratung aber nicht.

Henning Reichel, MBA
Dipl.-Sozialarbeiter (FH), Sozialtherapeut
Bereichsleitung
Suchtberatungs- und Behandlungsstelle Dresden-Neustadt

Henning.Reichel(at)diakonie-dresden.de