Wie messe ich die Wirkung meiner Leistungen? - Ein kurzes Plädoyer für ‘die leere Hülle’ Bundesteilhabegesetz
«Professionelle Leistungen sollen wirkungsvoll sein!» Was «bewirkt» dieser Satz bei Ihnen?
Bewirkt er selbstverständliche Zustimmung oder löst er Verunsicherung aus?
Wie gut schätzen Sie die Wirkungen ihrer eigenen beruflichen Tätigkeit ein?
Arbeiten Sie besser als ihre Berufskolleg*innen? Oder sehen Sie sich eher im Mittelfeld?
Und welche Kriterien wenden Sie an, wenn Sie solche Fragen beantworten müss(t)en?
Wirkungsmessung – macht das Sinn?
Wirkungsmessung? Bloß eine weitere Aufgabe? Oder braucht es sie wirklich?
Meine Antwort wäre: «Je nachdem».
Im klassischen Versorgungssystem ist das Messen von ökonomischen und strukturbezogenen Output-Daten völlig ausreichend. Verkauft werden beispielsweise Therapiestunden, Freizeitausflüge im Jahrespaket, Übernachtungen in Einer- oder Mehrbettzimmern, Verpflegungen, gesundheitsbezogene Behandlungen oder Begleitleistungen. Diese Leistungen werden in ihrer Quantität erfasst und entsprechend gegenüber den Kund*innen oder Kostenträgern und meist auch noch im Jahresbericht der Organisation oder Einrichtung ausgewiesen.
In einem versorgungsorientierten Quasi-Markt, in dem von den Leistungs- oder Kostenträgern vorgegeben wird, was, in welcher Form eingekauft werden muss, wo der Zugang zu Angeboten stark reguliert ist und wo die Mitwirkung und Mitbestimmungsmöglichkeiten der primären Kund*innen klein sind, macht das Messen von Wirkungen tatsächlich kaum einen Sinn. Zufriedenheitsbefragungen sind einfacher zu organisieren und bezüglich der Ergebnisse (leider) auch einfacher zu steuern.
In Angebotssettings aber, die sich bspw. an der kompetenten, chancengleichen oder normalisierten Teilhabe orientieren, gewinnt die Wirkungsmessung eine grundlegende Bedeutung.
Ökonomische und strukturbezogene Kennzahlen bleiben zwar auch hier wichtig. Richtig interessant werden diese aber erst, wenn sie mit Wirkabsichten oder Leistungszielen verknüpft werden. Wenn also beispielsweise darlegt wird, welche Wirkung die Teilnahme an Therapiestunden und Beratungssequenzen auf die Teilhabe einer Person hatte oder wie sich das gewählte Verpflegungskonzept auf die möglichst gesunde Teilhabe der Leistungsnutzenden ausgewirkte.
Ergebnisse und Erkenntnisse aus Wirkungsmessungen bilden letztlich ab, wie ‘erfolgreich’ ein professionelles Angebot oder eine Leistung mit Blick auf eine herausgestellte Teilhabequalität ist und war. Wirkungsmessungen entwickeln jedoch noch weitere ‘Wirkungen’. So ermöglichen sie über gemeinsame und organisationale Lernprozesse eine kontinuierliche und nachhaltige Qualitätsentwicklung von Angeboten und Leistungen. Sie bilden die Grundlage zur Professionalisierung von Berufsgruppen und Fachleuten und helfen, den angemessenen Grade- & Skill-Mix für Fachlichkeit in Einrichtungen und Angeboten zu bestimmen. Oder sie schaffen die Grundlage für eine objektive(re) Hilfebedarfsbemessung, die sich nicht mehr nur an den bestehenden Angeboten der Einrichtungen oder den Bedürfnissen der Klientel orientieren muss. Und nicht zuletzt helfen sie den Einrichtungen, ihre Angebots- und Leistungsprofile zu schärfen und ggf. Alleinstellungsmerkmale zu erkennen und zu definieren.
Zu wissen, welches die Kompetenzen und Besonderheiten einer Einrichtung oder eines Angebots sind, ist eine zentrale Voraussetzung für die selbst- und mitbestimmte Wahl von Leistungen und für die Mitwirkung der Leistungsnutzenden.
Teilhabe- und Wirkungsorientierung
Wirkungsmessung ist also nicht nur eine zusätzliche Aufgabe, die sich aus dem neuen Bundesteilhabegesetz ergibt. Wirkungsmessung gilt als Motor für den Wechsel von der Versorgungs- zur Teilhabeorientierung, wie sie die UN-Behindertenrechtskonvention fordert. Und sie müsste im eigenen Interesse aller Anbietenden von teilhabebezogenen Angeboten und Leistungen liegen. Denn letztlich sind Wirkungsmessungen die Grundlage zur Entwicklung und kontinuierlichen Weiterentwicklungen von entsprechenden Dienstleistungen.
Wie wirkungsvoll eine Leistung ist, bemisst sich immer an der Norm, an der eine Wirkung gemessen wird. Geht es also bspw. um die Wirkung ‘selbstbestimmte Teilhabe’, so wird gemessen, wie Angebote und Leistungen die selbstbestimmte Teilhabe befördern oder gewährleisten. Dafür müssen Wirkabsichten, wie die selbstbestimmte Teilhabe messbar gemacht werden. Und es müssen Wirkmodelle entwickelt werden, die zeigen, wie selbstbestimmte Teilhabe entsteht, befördert und ggf. eingeschränkt wird. Wirkmodell zeigen das Zusammenspiel relevanter Wirkfaktoren auf. Wirkmodelle zeigen Zugriffsmöglichkeiten auf und sind zentral, um gewünschte Qualitäten gezielt anzusteuern.
Es reicht nicht, «Teilhabe» als neuen Begriff in die Leitbilder und die Arbeitskonzepte der Einrichtungen und Angebote aufzunehmen. Organisationen, Einrichtungen und Angebote sind gefordert, konkret zu sagen, was sie mit Teilhabe meinen; welche Zielsetzungen sie mit Teilhabe verbinden und mit welchen Wirkabsichten sie tätig werden.
Das scheint nicht besonders schwer – und trotzdem sind ein paar Stolpersteine zu beachten.
Angebotsorientierung und schöne Absichtserklärungen - zu wenig konkrete Qualitätsversprechen
Schauen wir auf die Selbstbeschreibungen von Organisationen, Einrichtungen oder Angeboten wird sehr schnell eine starke Angebots- und Output-Orientierung deutlich, die (noch) vom Versorgungsgedanken geprägt ist. So heißt es bspw:
Sie können unsere Beratung in Anspruch nehmen, wenn:
Sie Probleme mit legalen Suchtmitteln (Alkohol, Medikamenten) oder Glücksspiel haben
Sie über 30 Jahre alt sind (…)
Wir bieten Ihnen:
Einzelgespräche, bei Bedarf Paar- oder Familiengespräche
Eine Informations- und Motivationsgruppe
Vermittlung in ambulante und/oder stationäre Therapie
Begleitende Gespräche auch nach einer Therapie
Informationen rund um Führerscheinentzug und Wiedererlangung
Vermittlung in Selbsthilfegruppen (…)
Andererseits finden sich Selbstbeschreibungen, die vor allem der Darstellung von Haltungen, Einstellungen und herausgestellten Menschenbildern dienen, wie:
(…) Unser Handeln richtet sich an der Würde aus, mit der Gott jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit ausstattet.
Die haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden sind unsere Stärke. (…)
Jedes Leben ist von Gott geschaffen und wertvoll.
Wir sind uns bewusst, dass wir uns gegenseitig brauchen.
Verschiedenheit ist Normalität und für uns eine Bereicherung.
Mitunter finden sich aber auch konkrete teilhabebezogene Aussagen, die jedoch für eine Wirkungsmessung zu unkonkret bleiben:
Wir sind offen für Dialog und Veränderung und fördern Partizipation. (…)
Wir beteiligen uns an der Willensbildung zu sozialen Fragen.
Wir leisten unseren Beitrag zu einer gerechten, solidarischen und inklusiven Gesellschaft
Solche Selbstbeschreibungen sind zwar schön zu lesen und sie vermitteln ein bestimmtes Bild der Leistungsträger. Mit Blick auf eine ‘sinnvolle’ Wirkungsmessung, zugunsten einer konkreten Konzeption der professionellen Praxen sowie einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung, wären konkrete Qualitätsversprechen an die verschiedenen Anspruchsgruppen der Angebote und Leistungen jedoch zweckdienlicher.
Solche Versprechen können durchaus an bestehende, haltungs- und wertebezogene Selbstbeschreibungen anschließen. So habe ich letzthin in einer Einrichtung für schwer suchterkrankte Personen gelesen:
Bei uns schöpfen sie wieder Hoffnung und entwickeln einen Lebensplan, der von Zuversicht geprägt ist.
Beides sind Qualitätsversprechen, die ohne weiteres gemessen werden könnten.
Zu viele Ziele - zu wenig Positionierung
Professionelle Angebote und Leistungen sollen eine positive Wirkung auf die Teilhabe von Personen mit Erkrankungen, Beeinträchtigungen und Behinderungen haben. Als normative Systeme für die Beschreibung und Bewertung der Teilhabe gelten bspw. die UN-Behindertenrechtskonvention, die Funktionale Gesundheit oder Theorien Sozialer Gerechtigkeit. Damit eröffnet sich ein breites Handlungsfeld, in dem sich professionelle Angebote mit ihren teilhabebezogenen Leistungen positionieren können. Dafür müssten sie aufzeigen, auf welche Klientel / Kundschaft ihre Angebote und Leistungen abgestimmt sind und welche Grundbedingungen ggf. gegeben sein müssen, damit teilhabebezogene Leistungen auch wirkungsvoll sind.
Sie möchten gerne Teilhabequalitäten messen, wissen aber nicht wie oder brauchen Hilfe bei der Entwicklung der Messinstrumente?
Bitte schreiben Sie uns. Wir helfen gerne! daniel.oberholzer(at)fhnw.ch / matthias.widmer(at)fhnw.ch

Prof. Dr. Daniel Oberholzer
Dozent, Institut Professionsforschung und -entwicklung
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
Tel.: +41 62 957 21 12
daniel.oberholze(at)fhnw.ch