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Mathias Albert, Klaus Hurrelmann, Gudrun Quenzel, Ulrich Schneekloth

Die 18. Shell Jugendstudie – Eine Generation meldet sich zu Wort

Vorwort

Durch ihre lange Tradition - die erste Studie erschien 1953 - bietet die Shell Jugendstudie eine einzigartige Plattform für die umfassende Darstellung der Lebenslagen und Einstellungen junger Menschen in Deutschland.

Grundlage der Shell Jugendstudie bildet eine repräsentative Befragung von mehr als 2500 Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren, die durch zwanzig vertiefende, leitfadengestützte Interviews mit Jugendlichen ergänzt wird. Die Interviews konzentrierten sich in der aktuellen Studie auf die Rolle der Jugendlichen als „Digital Natives“. Im Folgenden wird ein Überblick über zentrale Ergebnisse der Studie gegeben.

1 Einleitung*

Die 18. Shell Jugendstudie, die im Oktober 20191 erschien, trägt den Untertitel „Eine Generation meldet sich zu Wort“. Dahinter verbirgt sich die gestiegene Bereitschaft der jungen, politisch Interessierten, sich zu engagieren und eigene Ansprüche hinsichtlich der Zukunftsgestaltung geltend zu machen. Zunehmend legen viele Jugendliche Wert auf eine bewusstere Lebensführung. Umweltschutz und Klimawandel stehen im Mittelpunkt der Forderung nach mehr Mitsprache und Aufforderungen an Politik und Gesellschaft. Obwohl die Jugendlichen optimistisch in ihre Zukunft blicken, sehen sie doch, dass die Zeit zum Handeln gekommen ist. Neben den politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen bestimmen weiterhin Familie, Freundeskreis, Schule und Ausbildung sowie Freizeit die Erfahrungswelt der Jugendlichen. Im Zuge der umfassenden Vermessung jugendlicher Lebenswelten stehen diese Themengebiete ebenso wie die Werte im Fokus der Studie.

*„Wir danken Frau Nicola Alcaide für Umarbeitungen des vorliegenden Textes auf Grundlage des ursprünglichen Manuskriptes.“

[1] Shell Deutschland Holding (Hrsg.): Jugend 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort. Weinheim: Beltz.

2 Zukunftsängste und Sorgen

Ebenso wie im Jahre 20152 blickte im Jahr 2019 über die Hälfte der Jugendlichen positiv in die Zukunft der Gesellschaft. Bemerkenswert ist die Stabilität dieser Hälfte der „optimistischen“ Jugendlichen über die letzten Jahre hinweg insofern, als gleichzeitig die auf die gesellschaftliche Zukunft bezogenen Ängste bei den Jugendlichen in vielen Bereichen deutlich zugenommen haben: An oberster Stelle steht hierbei die Angst vor Umweltverschmutzung, die von 61 Prozent im Jahre 2015 auf 71 Prozent im Jahre 2019 gestiegen ist. Ebenso haben heute deutlich mehr Jugendliche Angst vor dem Klimawandel (2015: 56, 2019: 65%). Während etwa Ängste vor Terroranschlägen und einem Krieg in Europa deutlich zurückgegangen sind, stiegen sowohl die Angst vor Ausländerfeindlichkeit (von 48 auf 52%) als auch vor Zuwanderung (von 28 auf 33%). Anders als noch im Jahr 2015 spricht sich inzwischen jeder zweite Jugendliche (Westen: 47%; Osten: 55%) dafür aus, weniger Zuwanderer als bisher aufzunehmen. 2015 war es erst etwas mehr als jeder dritte Jugendliche (Westen: 34%, Osten: 49%).

Die wirtschaftliche Lage mit steigender Armut wird hingegen nur noch von etwas mehr als jedem zweiten Jugendlichen benannt, die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust oder davor, dass man keinen Ausbildungsplatz findet, sogar nur von etwas mehr als jedem dritten. Wirtschaftliche und soziale Nöte bereiten jungen Menschen weniger Sorge als die Angst vor einer wachsenden Feindlichkeit zwischen Menschen, die unterschiedliche Meinungen vertreten, im Osten (59%) noch etwas stärker als im Westen (55%).

[2] 17. Shell Jugendstudie: Jugend 2015 – Eine pragmatische Generation im Aufbruch

3 Politik und Gesellschaft

Das politische Interesse korreliert wesentlich mit der Bildungsposition der Jugendlichen: Jeder zweite Jugendliche, der das Abitur anstrebt oder erreicht hat, bezeichnet sich als politisch interessiert.

Bei Jugendlichen mit angestrebtem oder erreichtem Hauptschulabschluss trifft dies hingegen nur auf jeden vierten zu. Studierende bezeichnen sich zu 66% als politisch interessiert, sie sind damit die Gruppe mit dem größten politischen Interesse.

Im Vergleich zu 2015 ist das Interesse leicht rückläufig (von 43% auf 41%). Im längerfristigen zeitlichen Verlauf betrachtet sind damit nach eigener Aussage aber deutlich mehr Jugendliche als noch vor zehn oder zwanzig Jahren politisch interessiert (30% in 2002, 35% in 2006 und 37% in 2010).

Generell fühlen sich junge Menschen aber nicht hinreichend gefragt und in politische Prozesse einbezogen und wie schon in der letzten Shell Jugendstudie beobachtet, ist kein Rückgang der Politikverdrossenheit erkennbar. Je niedriger die Herkunftsschicht und die Bildungsposition, desto größer die Verdrossenheit.

Alles in allem wird Deutschland als sozial gerecht angesehen. Zu 59% ist die Mehrheit der Jugendlichen überzeugt, dass es in Deutschland gerecht zugeht. Differenziert man die Abfrage noch ein wenig, so sind es sogar 79%, die zustimmen, dass in Deutschland jeder die Möglichkeit hat, nach Fähigkeit und Begabung ausgebildet zu werden. Etwas mehr als die Hälfte (57%) sieht es so, dass man in Deutschland leistungsgerecht bezahlt wird, und ebenfalls etwas mehr als die Hälfte (55%) ist der Meinung, dass Benachteiligte in ausreichend unterstützt werden. Die Zustimmung zur Frage nach der sozialen Gerechtigkeit korreliert stark mit der Herkunftsschicht der Jugendlichen: Je niedriger die Herkunftsschicht, umso niedriger ist der Anteil derjenigen, die dieser Aussage zustimmen. So verweist etwa jeder zweite Jugendliche aus der untersten Herkunftsschicht auf fehlende soziale Gerechtigkeit, während aus der obersten Schicht nur noch 25% diese Einschätzung teilen.

Weltoffenheit und Populismusaffinität

Die Trends zu einer immer bunteren Gesellschaft gehen bei Jugendlichen mit einem hohen Maß an Toleranz einher. Die Studie zeigt, dass die große Mehrheit der Mädchen und Jungen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Minderheiten positiv gegenüberstehen. Die Ablehnungswerte liegen durchweg bei unter 20 Prozent. 57 Prozent sagen, dass sie es gut finden, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Dem gegenüber stehen 40 Prozent mit einer ablehnenden Haltung. Bestimmte rechtspopulistisch orientierte Aussagen stoßen auch bei Jugendlichen auf Zustimmung. So stimmen mehr als zwei Drittel der Aussage zu, dass man nichts Negatives über Ausländer sagen darf, ohne als Rassist zu gelten. Offenbar besteht ein weit verbreitetes Gefühl, dass es Dinge gibt, die man nicht ansprechen darf, ohne dafür moralisch sanktioniert zu werden. Um die Zustimmung zu populistischen Einstellungen zu beschreiben, wurden fünf „Populismuskategorien" gebildet.

Mit steigender Bildungsposition sinkt die Populismus-Affinität. Graduell sind westdeutsche Jugendliche und höher gebildete eher weltoffener als ostdeutsche und weniger gebildete.

4 Bildungs- und Berufsperspektiven

Die Bildungsbestrebungen der Jugendlichen nehmen weiter zu. Steigende formale Anforderungen an Berufstätige4 rufen einen Ansturm auf Schulen hervor, die hochwertige Bildungsabschlüsse vermitteln. Inzwischen zielen 60 Prozent der Jugendlichen das Abitur als Abschluss an und ein Studium an einer Hochschule erscheint der Mehrheit der jungen Leute attraktiver zu sein als eine berufliche Ausbildung. Besuchte 2002 noch fast die Hälfte aller Schüler*innen eine Haupt- oder Realschule, ist es inzwischen nur ein Viertel. Im Gegenzug haben in diesem Zeitraum vor allem das Gymnasium (41% auf 47%) als auch integrierte Schulformen (13% auf 26%) an Zulauf gewonnen.

Auch angesichts eines derzeit relativ entspannten Arbeits- und Ausbildungsmarktes dominiert bei Jugendlichen ein Bedürfnis nach Sicherheit und ein sicherer Arbeitsplatz ist für 93 Prozent aller Jugendlichen (sehr) wichtig. Wenn Jugendliche Prioritäten setzen und sich entscheiden müssen, stellen die meisten Jugendlichen die inhaltliche Wertigkeit ihrer Arbeit hinter materielle Aspekte und die Arbeitsplatzsicherheit.

Von zentraler Bedeutung ist ebenfalls die Vereinbarkeit von Arbeit mit anderen Lebensinhalten und -zielen. Das umfasst auch die Möglichkeit einer Anpassung der Arbeitszeit an die eigenen Bedürfnisse, z. B. während der Erziehungszeit von Kindern. Für fast alle Jugendlichen (93%) sollen Familie und Kinder neben dem Beruf nicht zu kurz kommen.

Dass dies nicht nur junge Frauen wollen (94%), sondern auch junge Männer mit 85 Prozent dieser Forderung zustimmen, könnte darauf hindeuten, dass die traditionelle Arbeitsteilung, in der Männer eher für die außerhäusliche Arbeit und Frauen eher für die Familienarbeit zuständig sind, bei Jugendlichen heute nur noch wenig Anklang findet. Bittet man die Jugendlichen jedoch sich vorzustellen, dass sie im Alter von dreißig Jahren mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner ein kleines Kind von zwei Jahren hätten, und fragt dann nach ihren Wünschen zur Arbeitsteilung, dann befürwortet die überwiegende Mehrheit der jungen Frauen und Männer übereinstimmend ein Familienmodell, in dem der Mann primär für das Haushaltseinkommen und die Frau primär für die Kindererziehung zuständig ist. Nur etwa ein Drittel (34%) befürwortet eine eher gleichberechtigte Aufteilung der Erwerbsarbeit. Allerdings sind hier interessante Unterschiede zwischen den west- und ostdeutschen Bundesländern zu beobachten. Im Westen streben 58 Prozent der jungen Männer und 56 Prozent der jungen Frauen ein männliches Versorgermodell an. Im Osten sind es dagegen nur 38 Prozent der jungen Männer und 31 Prozent der jungen Frauen, während über die Hälfte für eine gleichberechtigte Aufteilung eintritt.

Zusammenhang Bildung und soziale Herkunft

Der in Deutschland starke Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg konnte durch die aktuelle Studie einmal mehr bestätigt werden. Während 71 Prozent aller Jugendlichen aus der oberen Schicht an einem Gymnasium angemeldet werden, sind es nur 13 Prozent aus der unteren Schicht.

Wie in den vergangenen Jahren auch, erlangen junge Frauen vermehrt höhere Bildungsabschlüsse als junge Männer. Mädchen besuchen deutlich häufiger das Gymnasium als Jungen (53% zu 42%) und inzwischen ist das Gymnasium die Schulform, die von einer absoluten Mehrheit der Mädchen besucht wird.

[4]  Dohmen, D. (2019): Bildungsarmut und Qualifikationsentwicklung. In: Quenzel, G., Hurrelmann, K. (Hrsg.): Handbuch Bildungsarmut. Wiesbaden: Springer VS, 39-76.

5 Eltern und Familie

Im Ergebnis zeichnet sich ein relativ familienorientiertes Bild ab und der Anteil Jugendlicher, die ein positives Verhältnis zu ihren Eltern haben, nimmt seit 2002 stetig zu. Die Mehrheit sieht ihre Eltern als Erziehungsvorbilder. Vier von zehn Jugendlichen (42%) kommen bestens mit ihren Eltern aus, die Hälfte (50%) kommt trotz gelegentlicher Meinungsdifferenzen mit ihnen klar. Entsprechend zufrieden sind Jugendliche mit der Erziehung durch ihre Eltern:
16 Prozent würden ihre Kinder genauso erziehen, wie sie selbst erzogen wurden, und 58 Prozent ungefähr so. Weniger als ein Viertel der Jugendlichen (23%) würde ihre Kinder anders oder sogar ganz anders erziehen, als sie selbst von ihren Eltern erzogen wurden (2002 äußerten dies noch 29%). Allerdings ist das Verhältnis von Jugendlichen zu ihren Eltern in den höheren sozialen Herkunftsschichten deutlich besser als in den weniger privilegierten Schichten.

Gut zwei Drittel (68%) aller 12- bis 25-Jährigen, die selbst noch kein Kind haben, möchten später einmal Kinder haben. Damit ist der Kinderwunsch im Zeitverlauf recht stabil. Junge Frauen sind sich etwas häufiger sicher, dass sie Kinder möchten, als junge Männer (71% zu 64%).

6 Freizeit und Mediennutzung

Freizeit bietet Jugendlichen neben Erholung auch Raum zur Selbstentfaltung und sozialen Integration und gewährt darüber hinaus Spielräume, um Interessen nachzugehen und sich gesellschaftlich einzubringen.

Zur Feststellung der Beliebtheit von Freizeitaktivitäten erhielten Jugendliche eine Liste mit verschiedenen Freizeitaktivitäten, von denen sie maximal fünf der für sie wichtigsten nennen sollten. Es stellt sich heraus, dass trotz des Einzugs von digitalen Medien in alle Lebensbereiche viele andere Freizeitbeschäftigungen wie Geselligkeit, Sport und Kreativität weiterhin wichtig sind. Anders als noch 2002 (62%) ist es Jugendlichen heute (55%) nicht mehr ganz so wichtig, sich mit Leuten zu treffen. Für junge Frauen haben Verabredungen mit anderen Menschen (62%) einen höheren Stellenwert als für junge Männer (48%). Unternehmungen mit der Familie gehören für 23% der Jugendlichen 2019 zu den häufigsten Aktivitäten in der Freizeit (2002: 16%). Dies ist für Jugendliche also wichtiger geworden und korrespondiert mit dem zunehmend positiven Verhältnis zu den Eltern. Die Bedeutung von aktivem Sport bzw. Training (27%) bleibt konstant, Freizeitsport (24%) hat etwas an Beliebtheit verloren. Das Lesen von Büchern, vor allem aber von Zeitschriften oder Magazinen, ist Jugendlichen heute weniger wichtig als noch vor knapp 20 Jahren.

Das klassische Fernsehen hat an Bedeutung verloren (49% auf 33%). Fest gefügte Programmschemata lösen sich auf zugunsten von flexiblen Mediennutzungsmöglichkeiten, die durch Anbieter wie Netflix, Amazon Prime und anderen geboten werden. 45 Prozent der Jugendlichen streamen in ihrer Freizeit häufig Videos (2015: 15%). Allerdings nennen 45 Prozent der Jugendlichen auf dem Land das Fernsehen als eine ihrer wichtigsten Freizeitbeschäftigungen, wobei sie etwas seltener Videos, Filme oder Serien schauen (41%).

Die Bedeutung des Spielens an Konsole oder Computer (23%) bleibt langfristig stabil. Vor allem für die 12- bis 14-jährigen Jungen ist diese Art des Gamens eine zentrale Freizeitbeschäftigung (57%). Mit zunehmendem Alter verringert sich das Interesse der männlichen Jugendlichen am Gamen allerdings deutlich und betrifft bei den 22- bis 25-Jährigen nur noch 28 Prozent der jungen Männer.

Für jeden Fünften jungen Menschen (21%) gehört das Bücherlesen zu einer wichtigen Freizeitbeschäftigung; für junge Frauen (29%) häufiger als für junge Männer (14%).

Die soziale Herkunftsschicht spielt eine bedeutende Rolle für das Freizeit-verhalten: Jugendliche aus den unteren sozialen Schichten surfen häufiger im Netz, gamen oder sehen regelmäßiger fern als Gleichaltrige aus den höheren Schichten. Letztere liegen stattdessen bei Beschäftigungen wie Sport, Lesen oder Kreativität vorn. Dass Jugendliche aus sozial höheren Herkunftsschichten tendenziell häufiger Videos, Filme oder Serien schauen, hängt möglicherweise auch mit den Abonnementgebühren von Streaming-Diensten zusammen.

Wie   in   den   vorherigen   Shell   Jugendstudien   wurde   eine   Typologie    zur Eingruppierung von Jugendlichen hinsichtlich ihres Freizeitverhaltens erstellt:

Geht die im Netz verbrachte Zeit auf Kosten von sozialen Kontakten? Hier muss zwischen sozialen Medien und den übrigen digitalen Medien unterschieden werden.

Tatsächlich ist es Jugendlichen, die besonders häufig soziale Medien nutzen, nicht weniger wichtig, sich mit Leuten zu treffen, in Clubs oder auf Partys zu gehen oder aktiv Sport zu treiben. Weder bei den jungen Frauen noch bei den jungen Männern lassen sich hier signifikante Zusammenhänge feststellen. Die intensive Nutzung von sozialen Medien geht mit einer hohen Zufriedenheit mit den eigenen Freundschaftsbeziehungen einher.

Jugendliche, die gerne im Internet surfen, Videos streamen, fernsehen oder gamen, legen weniger Wert darauf, sich in ihrer Freizeit mit Leuten zu treffen. Allerdings kann die digitale Welt nicht als kategorischer Gegenspieler zu sozialen Kontakten interpretiert werden. Beispielsweise bedeutet Gamen für viele Jugendliche nicht, dass sie immer alleine in ihrem Zimmer vor dem Bildschirm sitzen. Viele verabreden sich auch mit anderen, um face-to-face gemeinsam zu spielen oder auch per chat oder voice-chat im Internet.

Wege und Formen der Internetnutzung

70 Prozent der Jugendlichen nutzen in erster Linie ihr Smartphone, wenn sie ins Internet gehen. An einem gewöhnlichen Tag sind sie laut Selbsteinschätzung durchschnittlich 3,7 Stunden im Internet.

WhatsApp hat sich in den letzten Jahren zu dem Kommunikationsnetzwerk schlechthin entwickelt: Es ist unabdingbar, wenn man auf dem Laufenden bleiben will. Alle befragten Jugendlichen nutzen es, auch die Datenschutz-Besorgten, niemand kennt jemanden, der es nicht anwendet. In der Regel verfügen die Jugendlichen über 30 bis 50 Kontakte, regelmäßig gechattet wird mit fünf bis 20 Personen. Für Beziehungen, insbesondere Fernbeziehungen, spielt WhatsApp eine beziehungserhaltende Rolle. Die meisten Jugendlichen sind über einen Familienchat mit ihren Eltern in Kontakt. Durch einen oder zumeist mehrere Gruppenchats erhöht sich die Zahl der täglichen Nachrichten enorm. Man verabredet sich über WhatsApp, bei Terminen gilt es zügig zu antworten. Die zweitwichtigste Plattform ist YouTube. Man sieht oder tauscht Videos, hört Musik, konsumiert Serien, Dokumentationen und Nachrichten. Alle Jugendlichen googeln, und zwar im Durchschnitt vier- bis fünfmal täglich, um einer spontan auftauchenden Frage nachzugehen.

Aber auch für Jugendliche ist das Internet kein reines Unterhaltungsmedium. An erster Stelle steht für sie Kommunikation: 96 Prozent sind mindestens einmal täglich in den sozialen Medien (Messengerdienste oder soziale Netzwerke) unterwegs. Zwar gehen 76 Prozent mindestens einmal am Tag aus Unterhaltungszwecken online, aber 71 Prozent suchen auch mindestens einmal täglich nach Informationen (allgemeiner Art, für Schule, Ausbildung oder Beruf oder über Politik und Gesellschaft). Deutlich seltener nutzen sie das Internet zur Selbstinszenierung, nur 12 Prozent stellen mindestens einmal täglich Fotos, Videos, Musik oder Blogbeiträge ins Netz.

Die Befunde im qualitativen Teil der Shell Jugendstudie zeigen, in welchem Ausmaß digitale Inhalte den Alltag der Jugendlichen durchdringen. Bei sehr vielen Jugendlichen fängt es beim Wachwerden durch das Smartphone als Wecker am Bett an, das bei der Gelegenheit in die Hand genommen und für weitere Inhalte genutzt wird. Und es endet oftmals an gleicher Stelle abends im Bett, wenn kurz vor dem Einschlafen noch einmal letzte Neuigkeiten aus dem sozialen Nahbereich ausgetauscht werden. Das Smartphone ist dabei das wie selbstverständlich genutzte Gerät im Alltag, mit dem sich eine Vielzahl an Anwendungen erschließen lässt. Die Gespräche mit den Jugendlichen verdeutlichen, dass innerhalb der Altersgruppe der 12- bis 25-Jährigen schon untereinander große Unterschiede auftreten. Die ersten Erfahrungen mit der umfangreichen Nutzung digitaler Inhalte finden immer früher statt. Die älteren Jugendlichen haben das Aufkommen der Smartphones noch im frühen Jugendalter selber erlebt, während es für die jüngeren Jugendlichen quasi schon immer da ist.

7 Wertorientierungen

Für die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen bilden nach wie vor gute Freunde, eine vertrauensvolle Partnerschaft und ein gutes Familienleben die wichtigsten Werte. Sogar wichtiger als Eigenverantwortlichkeit (83%) und Unabhängigkeit (83%). Auch an der Betonung von Tugenden, wie etwa der Respektierung von Gesetz und Ordnung (87%), fleißig und ehrgeizig zu sein (81%) oder nach Sicherheit zu streben (77%), hat sich seit 2002 nichts geändert. Dass Jugendliche trotzdem offen für Neues sind und von daher eine Rolle als Träger von Veränderungen übernehmen können, zeigt sich daran, dass sie „die eigene Phantasie und Kreativität entwickeln“ als ähnlich wichtige Wertorientierung benennen.

Die Wichtigkeit des Glaubens an Gott ist zwischen den Konfessionen unterschiedlich ausgeprägt. Für katholische und evangelische Jugendliche hat der Glaube an Gott im Laufe der Jahre an Bedeutung verloren. Für die Hälfte der evangelischen und 41 Prozent der katholischen Jugendlichen spielt er keine bzw. keine große Rolle mehr. Von dieser Entwicklung abgekoppelt sind Jugendliche, die anderen Religionen angehören, allen voran junge Muslime, von denen 73 Prozent den Glauben an Gott als wichtig einstufen.

Vier von fünf Jugendlichen geben an, dass sie „das Leben in vollen Zügen genießen“ wollen. Diese Haltung hat seit 2002 kontinuierlich an Bedeutung gewonnen und ist seit 2015 stabil. Die Betonung des Lebensgenusses unter-streicht die Bedeutung, die Jugendliche der eigenen Teilhabe beimessen. Das Hier und Jetzt in Verbindung mit dem Bedürfnis, an den diversen Angeboten, die die Gesellschaft zu bieten hat, persönlich zu partizipieren, ist für die große Mehrheit der Jugendlichen ebenfalls maßgeblich. Familie und Gemeinschaft sowie ein eher hedonistisches Streben nach Vergnügen und Genuss schließen sich dabei nicht aus, sondern bedingen sich sogar. Das Leben in vollen Zügen genießen zu wollen, bedeutet für viele junge Menschen deshalb auch, dass man grundsätzlich weder Beruf noch Freizeit eingegrenzt sehen möchte.

Ein hoher Lebensstandard und die Durchsetzung eigener Bedürfnisse verlieren vergleichsweise stark an Bedeutung. Insgesamt stehen idealistische, eher sinnstiftende Wertorientierungen bei jungen Menschen wieder höher im Kurs. Gegenläufig ist die Entwicklung bei tendenziell materialistischen Orientierungen, die darauf abzielen, die persönliche Macht und Durchsetzungskraft zu steigern.

8 Ost-West-Unterschiede

Bereits in der Shell Jugendstudie 2015 waren alle befragten Jugendlichen nach der „Wende“ geboren und hatten damit die DDR als Staat nicht mehr selbst erlebt. Dennoch konnten in den vorherigen Studien in vielen Bereichen Unterschiede zwischen jungen Menschen, die in den westlichen oder in den östlichen Bundesländern aufwuchsen, festgestellt werden. Besonders deutlich waren die Unterschiede in den Einstellungen zur Demokratie und zur Vereinbarkeit von Familie und Karriere sowie im Zukunftsoptimismus. Es stellt sich aber auch heraus, dass diese Unterschiede seit 2002 immer weiter zurückgegangen sind. 30 Jahre nach dem Mauerfall sind sie kaum noch feststellbar. Jugendliche in Ost- und Westdeutschland sehen heute gleichermaßen optimistisch in die persönliche Zukunft, beurteilen die Europäische Union zwar nicht euphorisch, aber doch positiv, und empfinden Deutschland in demselben Ausmaß als gerecht oder ungerecht.

Unterschiede zwischen Ost und West existieren nach wie hinsichtlich der Zufriedenheit mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland besteht. Diese bleibt im Westen mit 77 Prozent höher als im Osten mit 66 Prozent. Aber im Vergleich etwa zu 2002, als in den östlichen Bundesländern deutlich weniger als die Hälfte der Jugendlichen (40%) und in den westlichen Bundesländern zwei Drittel (66%) mit der Demokratie in Deutschland zufrieden waren, haben sich die Werte deutlich angeglichen.

Deutlich größer als die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland sind jedoch die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten, denn die materiellen und sozialen Bedingungen des Aufwachsens sind und bleiben in Deutschland stark ungleich verteilt. Die sozial ungleich verteilten Bedingungen des Aufwachsens wirken in die Familie, in die Schule und in den Freundeskreis der Jugendlichen hinein. Jugendliche aus den unteren Sozialschichten berichten häufiger von Konflikten mit ihren Eltern, sie wollen früher ausziehen und ihre Kinder möglichst einmal anders erziehen, als sie selbst erzogen worden sind. Sie sind unzufriedener mit ihrem Freundeskreis, schauen seltener optimistisch in die eigene Zukunft, haben häufiger schulische Probleme und erreichen in deutlich geringerem Ausmaß höhere Bildungsabschlüsse. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass der maßgebliche Unterschied hier weniger zwischen einer ökonomisch besser- und einer weniger gut situierten Hälfte verläuft, sondern zwischen der überwiegenden Mehrheit der Jugendlichen aus den oberen und mittleren Schichten und einer Minderheit von etwa 15 bis 20 Prozent, die sich deutlich davon abhebt. Die Ergebnisse der 18. Shell Jugendstudie zeigen damit einmal mehr wie wichtig es ist, politisch zu handeln und den in vielen Lebensbereichen „abgehängten“ Jugendlichen akzeptable Bedingungen des Aufwachsens und gute Zukunftsperspektiven zu bieten.

9 Schlussbemerkung

Einer Generation, bei der heute ein Drittel einen Migrationshintergrund oder nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hat und für die der Aufenthalt in der digitalen Welt den Alltag bestimmt, fürchtet die Folgen von Umweltzerstörung und Klimawandel. Dennoch blicken aber genauso viele Jugendliche zuversichtlich in die Zukunft der Gesellschaft wie vor vier Jahren. Es bleibt eine Vielfalt anerkennende und tolerante junge Generation, die mehr Angst vor Ausländerfeindlichkeit als vor Zuwanderung hat.

Unterschiede etwa nach Geschlecht, Alter, Ost-West und Migrationshintergrund bestehen in unterschiedlichen Bereichen und in unterschiedlichen Ausprägungen. Keiner dieser Unterschiede fällt aber insgesamt so ins Gewicht wie der Unterschied nach sozialer Herkunft und damit korrelierend nach Bildungsgrad. Dennoch vertritt die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen die Ansicht, dass es in Deutschland gerecht zugeht. Dabei steigen der Anspruch und die Forderung junger Menschen auf mehr Gehör in der Gesellschaft.

Prof. Dr. Mathias Albert
Fakultät für Soziologie  
Universität Bielefeld
Tel.: +49 521 106 3999
mathias.albert(at)uni-bielefeld.de
 

Die Studie ist im Beltz-Verlag erschienen und im Buchhandel für 24,95 Euro bzw. als E-Book für 22,99 Euro erhältlich. 
https://www.beltz.de/fachmedien/paedagogik/buecher/produkt_produktdet ails/39025-jugend_2019_18_shell_jugendstudie.html.

Webseite: www.shell.de/jugendstudie

Der Podcast zur Shell Jugendstudie #dieseJugend ist auf allen gängigen Streaming-Plattformen verfügbar.

Anmerkung: Aus Gründen der Lesbarkeit wurde an einigen Stellen auf die Formulierung der weiblichen Schreibweise verzichtet. Grundsätzlich sind jedoch stets alle Geschlechter gemeint.