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Von Wolfgang Müller

„Die Zündkerze im Motor der Präventionsarbeit" – Schulsozialarbeit und Suchtprävention in Sachsen

Fachbeitrag zum 14. BERLINER SUCHTGESPRÄCH (BSG) „Die Jugend von heute…“ am 14. 11.2019

 „In Schule und Jugendarbeit sind … Themen rund um die Stabilität der Persönlichkeit, Suchtentwicklung, Suchtvorbeugung und suchtspezifische Präventionsprojekte von hoher Bedeutung. Eine rechtliche Normierung, die Standards und Stabilität für entsprechende flächendeckende Angebote, wie z. B. die Schulsozialarbeit, bieten, fehlen leider noch immer. … Vor welchen Herausforderungen steht also „die Schulsozialarbeit in Sachsen“ beim Thema Sucht?“ (aus dem Veranstaltungsflyer zum 14. Berliner Suchtgespräch)

Entwicklung und Stand der Schulsozialarbeit in Sachsen

Erste Projekte der Schulsozialarbeit gibt es im Freistaat Sachsen seit 1993. Nach einer Erhebung des Landesjugendamtes gab es 2006 in Sachsen 74 Vollzeitstellen (VzÄ) Schulsozialarbeit. Im Oktober 2002 gründete sich die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Schulsozialarbeit Sachsen als Verein mit fester Arbeitsstruktur. Ab 2008 wurde vom Freistaat eine hauptamtliche 30-Stunden-Stelle einer Bildungsreferent*in gefördert. Als Hauptziele der Arbeit definierte man die landesweite Förderung und Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit als Handlungsfeld der Jugendhilfe sowie besonders die Unterstützung der im Arbeitsfeld Tätigen. 2019 fördert der Freistaat Sachsen die Arbeit von drei Bildungsreferent*innen der LAG Schulsozialarbeit Sachsen e.V. Im März 2019 sind 70 Träger von Schulsozialarbeit und 11 Einzelpersonen Mitglieder der LAG Schulsozialarbeit und damit geschätzt 60 % aller Schulsozialarbeitenden in Sachsen in der LAG vertreten.

Bis 2017 wurden Angebote der Sozialarbeit an Schulen in Sachsen aus unterschiedlichen Förderprogrammen finanziert und fast ausschließlich durch anerkannte freie Träger der Jugendhilfe erbracht. Von Juni 2016 bis März 2018 kam es durch die Einführung des Landesprogramms Schulsozialarbeit (Stufe I) zu einem Zuwachs von 305,3 auf 363 VzÄ. Ab Schuljahr 2018/19 stellte der Freistaat dann ein jährliches Fördervolumen von 30,5 Mio. Euro zur Verfügung, wodurch inkl. der Anteile von Landkreisen und Kommunen im Februar 2019 606 Vollzeitstellen gefördert wurden, davon 313 VzÄ an Oberschulen, 151 VzÄ an Grundschulen, 83 VzÄ an Förderschulen und 57 VzÄ an Gymnasien.

Damit ergab sich ein Zuwachs von 363 auf 606 VzÄ innerhalb eines Jahres. Dies bedeutet bei einer Verteilung mit 1,0 VzÄ/Schule eine Ausstattung von 40 % der Schulen mit Angeboten von Schulsozialarbeit in Sachsen (Basis: 1.516 Schulen) und bei 373.241 Schüler*innen und 606 VzÄ Schulsozialarbeit ergeben sich aktuell 1,0 Schulsozialarbeiter*innen für 616 Schüler*innen und eine ungefähre Korrelation von 1 Schulsozialarbeiter*in zu 44 Lehrkräften.

Im bundesweiten Vergleich der Ausstattung liegt Sachsen hiermit im oberen Mittelfeld, gleichzeitig ist man wie auch anderswo von der Fachforderung „eine Vollzeitstelle für 150 Schüler*innen“ (Bundeskongress Schulsozialarbeit Dortmund 2015) noch weit entfernt.

Rahmenbedingungen und gesetzliche Vorgaben in Sachsen

Die Förderrichtlinie (FRL) des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz zum Landesprogramm Schulsozialarbeit vom 06. März 2018 formuliert: „Gefördert werden Angebote der Schulsozialarbeit nach § 13 Absatz 1 in Verbindung mit § 11 Absatz 3 Nummer 6 des Achten Buches Sozialgesetzbuch an allgemeinbildenden Schulen im Freistaat Sachsen, die auf der Grundlage der … beschlossenen Fachempfehlung zur Schulsozialarbeit im Freistaat Sachsen … arbeiten.“ (FRL s.o.) - Schulsozialarbeit ist damit in Sachsen eindeutig ein Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe und wurde auch im neuen sächsischen Schulgesetz 2018 verankert: „Für alle Schularten und Schulstufen sollen Ressourcen der Schulsozialarbeit zur Verfügung stehen“ (§ 1 Absatz 4); an allen (derzeit 283) Oberschulen im Freistaat soll es Schulsozialarbeit geben (§ 6 Abs. 5) Schulsozialarbeiter*innen können zukünftig mit beratender Stimme an der Schulkonferenz teilnehmen (§ 43 Abs. 3).

Damit gibt es in Sachsen als einem der wenigen Bundesländer überhaupt eine rechtliche Normierung für die Schulsozialarbeit, welche die sozialpädagogisch gut gefasste Fachempfehlung zur Schulsozialarbeit in Sachsen (2016) ergänzt. Dort wird als Zielstellung formuliert: „Schulsozialarbeit unterstützt und begleitet junge Menschen dabei, deren subjektiv bedeutsame Fragen und Themen zur Gestaltung der eigenen Biografie und Lebensbewältigung im Kontext individueller, sozialer, schulischer und zukünftiger beruflicher Entwicklung zu bearbeiten“, Bildungsprozesse junger Menschen im Kontext der Förderung von individueller, sozialer, schulischer sowie zukünftiger beruflicher Entwicklung zu unterstützen und zu begleiten, sowie Bildungsbenachteiligungen auszugleichen  (Fachempfehlung, 2016, S. 4). Empfohlen werden weiterhin sozialpädagogische Arbeitsprinzipien, die sich aus den gesetzlichen Normierungen des SGB VIII ableiten, wie Alltagsorientierung, Beteiligung, Freiwilligkeit Beziehungsorientierung, Inklusion und Lebenswelt- bzw. Diversity-Orientierung.

Aufgabenfelder der Schulsozialarbeit sind Einzelhilfe, Konflikthilfe, Kinderschutz, Soziale Gruppenarbeit und Sozialraumgestaltung. Schulsozialarbeit arbeitet dabei präventiv und intervenierend, immer auf der Basis einer freiwilligen Teilnahme, die nur im Bereich des Kinderschutzes eingegrenzt werden kann. Präventiv ist Schulsozialarbeit eher im Bereich der Sekundärprävention tätig, da die Hauptzielgruppe „insbesondere sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche“ ist. Außerdem müssen Schulsozialarbeitende die Schweigepflicht gemäß § 203 StGB und die Datenschutzbestimmungen gemäß §§ 61 – 65 SGB VIII auch in ihrer Zusammenarbeit mit Lehrkräften beachten. Das in der LAG gesammelte Erfahrungswissen aus vielfältigen Kontakten mit Schulsozialarbeiter*innen in der Praxis zeigt ein breites Spektrum unterschiedlicher Kooperationskulturen zwischen Schulleitungen, Lehrkräften und Schulsozialarbeit – von einem „Nebeneinander“ (additives Modell) über Versuche der Vereinnahmung von Schulsozialarbeit („Hilfslehrer“) bis hin zu partnerschaftlicher Kooperation auf Augenhöhe.

Schulsozialarbeit und Sucht/-Prävention

Zur Annäherung an das Thema wurde eine „Blitz-Umfrage“ per E-Mail verschickt. Es gab insgesamt 6 Antworten von Schulsozialarbeiter*innen aus Sachsen, davon 4 x Oberschule, 2 x Gymnasium, Stadt und ländlicher Raum gemischt. Natürlich ergibt sich daraus kein valides, übertragbares Ergebnis, aber Schlaglichter auf Einschätzungen zum Thema.

Die beteiligten Fachkräfte formulierten unter der Rubrik „Mein Beitrag als Schulsozialarbeiter*in zur Suchtprävention ist …“:

  • Initiierung von Projekten und Diskussion – immer wieder Anschieben (sozusagen die „Zündkerze im Motor der Präventionsarbeit“), eigene Workshops zu Suchtprävention als Angebot für Klassen oder in Kooperation mit externen Partnern
  • Individuelle Beratung für betroffene Eltern, Familien und Verweis an professionelle Suchtberatungsstellen bzw. therapeutische Angebote
  • Gezielte Ansprache und Begleitung konsumierender Schüler*innen bzw. Schüler*innen mit auffälligem Verhalten
  • Vorhalten eines Netzwerkes mit vielen Ansprechpartner*innen
  • Entwicklung und Fortschreibung eines Präventionskataloges in Kooperation mit Schule und Mitarbeit im Arbeitskreis „Suchtprävention“ im Landkreis
  • „Wachsame Sorge“ und enge Zusammenarbeit mit Klassenlehrer*innen vor allem im Bereich Ausgrenzung und Mobbing, Schulangst, Bewältigung von schulischen und häuslichen Drucksituationen, Interventionen, Beratung etc. – Ziel: möglichst direkt und entschlossen Einfluss auf die Risikofaktoren von Sucht nehmen“

Weiterhin noch eine Auswahl der Beiträge unter „Was ich sonst noch sagen wollte“:

„Wir erobern als SchuSo gerade das Feld Suchtprävention, die an der Schule bisher vorhandenen Aktivitäten beschränken sich oft auf Polizeiliche Prävention in sehr durchwachsener Qualität – Erfahrung: Polizeiworkshops mit Schülern – ganz ok, Elternabende durch Polizei durchgeführt – miserabel.“

„Gute Suchtprävention funktioniert nur dann, wenn alle Beteiligten an Schule kooperieren und sich über die Problematik verständigen. An jeder weiterführenden Schule werden Drogen konsumiert oder tendieren Schüler*innen zu extremen Verhaltensweisen. Meine Erfahrung zeigt, dass Schulen, an denen ein offener Diskurs mit Schüler*innen stattfindet, klare Regeln formuliert und umgesetzt werden und bei fehl- bzw. auffälligem Verhalten diese aufgefangen (Schule, SSA, Elternhaus, Peers) werden, auch präventive Arbeit einen höheren Stellenwert genießt.“

„Sucht ist an Schulen oft sowas wie ein Tabuthema – Auch, weil ich vermute, dass die Quote derer, die mindestens riskant konsumieren, im Bereich der Lehrer*innen relativ hoch ist.“

 „Das System Schule muss und wird sich einem Wandel unterziehen – lebensweltorientierter, „erzieherischer“ (damit meine ich, nicht nur auf Wissensvermittlung fokussiert) – Schule, als ein Ort zum Wohlfühlen, in dem Resonanz geschaffen wird (siehe Vortrag von Prof. Dr. Hartmut Rosa „Schule als Resonanzraum“) und dafür sind die Schulsozialarbeitenden die Vorreitenden und eben auch die schnell verschlissenen Zündkerzen“

„Das Thema Sucht hat sich speziell an meiner Schule verändert. Die Kinder und Jugendlichen konsumieren weniger legale und illegale Drogen. Stattdessen ist das Thema Exzessive Mediennutzung so groß wie nie. Im letzten Schuljahr konnten wir (Klassenleiterin und SchuSo) nur mit einer intensiven Elternarbeit (super kooperativ!) verhindern, dass fast eine ganze 8. Klasse nicht versetzt werden kann. Die Jugendlichen haben nur noch gezockt (online und innerhalb der Klasse), sodass viele gar nicht mehr in die Schule kamen, weil sie keinen gesunden Tagesrhythmus mehr hatten, andere, weil sie kein Interesse mehr an Schule hatten. Es war sehr dramatisch. Leider wurden wir bei sämtlichen Beratungsstellen und Projektangeboten abgewiesen. Projekte und Kooperationspartner in unserer Stadt sind teilweise schon für das kommende Schuljahr ausgebucht und man kriegt keinen Fuß herein. Auch Experten (wir suchten jemanden zum Thema Mediensucht) waren nicht zu bekommen. ... Ich wünsche mir auf jeden Fall mehr (viel mehr) Angebote durch externe Partner und Unterstützung als SSA, da das Thema Sucht zu umfänglich ist, um eine gute Präventionsarbeit an Schule allein (d.V.) leisten zu können.“ 

Damit Schulsozialarbeit eine gute Wirksamkeit, auch im Feld der Prävention, entfalten kann, braucht es vor allem auch eine entsprechende Ausstattung und gute Rahmenbedingungen.

„Deshalb fordert der Bundeskongress Schulsozialarbeit 2015

  • Aufnahme der Schulsozialarbeit in das Jugendhilferecht und die Schulgesetze der Länder als Regelangebot an allen Schulen.
  • Ausbau der Schulsozialarbeit an allen Schulen mit mindestens einer unbefristeten Vollzeitstelle je 150 Schüler/innen.
  • Weiterentwicklung von Studienangeboten für den Schwerpunkt Schulsozialarbeit und den Aufbau und Ausbau regionaler, schulform- und trägerübergreifender Koordinierungsstellen für die Planung, Qualitätssicherung und fachliche Begleitung der Schulsozialarbeit.
  • Tariflich gesicherte Arbeitsbedingungen für alle Schulsozialarbeiter/innen und eine der Aufgabe und Qualifikation angemessene Bezahlung.“

Quellenverzeichnis

Förderrichtlinie Schulsozialarbeit Sachsen zitiert nach: https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/17165-FRL-Schulsozialarbeit zuletzt am 11.02.2020

Fachempfehlung zur Schulsozialarbeit Sachsen zitiert nach: https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/11783 zuletzt am 11.02.2020


Wolfgang Müller
Bildungsreferent der LAG Schulsozialarbeit Sachsen e.V.
wolfgang.mueller(at)schulsozialarbeit-sachsen.de
www.schulsozialarbeit-sachsen.de