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Von Kirsten Lochbühler, Darya Aydin, Petra Berg

Losgelöst – ein Tabakentwöhnungsprogramm für jugendliche Raucher*innen

Rauchen unter Jugendlichen

Tabakrauch stellt weltweit die häufigste vermeidbare Todesursache dar (Forouzanfar et al., 2016). In Deutschland waren im Jahr 2013 13,5 % aller Todesfälle bei Personen unter einem oder über 35 Jahren auf aktiven oder passiven Tabakkonsum zurückzuführen (Mons & Kahnert, 2019). Trotz eines rückläufigen Trends der Prävalenz von Raucher*innen in den letzten Jahren liegt die 30-TagesPrävalenz unter Erwachsenen der deutschen Bundesbevölkerung aktuell bei 23,3 % und die des täglichen Konsums bei 15,1 % (Atzendorf, Rauschert, Seitz, Lochbühler, & Kraus, 2019; Seitz et al., 2019). In einer repräsentativen Befragung im Jahr 2016 gaben 8,3 % der Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren an, ständiger oder gelegentlicher Raucher zu sein (Orth & Merkel, 2018). Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren ist der prozentuale Anteil der Raucher*innen mit 29,8 % deutlich höher. Um den positiven Trend im Tabakkonsum fortzusetzen und gesundes Altern zu fördern, sollte neben der Verhinderung des Einstiegs in den Tabakkonsum die Erhöhung der Rauchstoppquote gefördert werden. 

Aufhörmotivation bei Jugendlichen

Mehr als 50 % der jugendlichen Raucher*innen im Alter von 13 bis 15 Jahren geben an, mit dem Rauchen aufhören zu wollen (Arrazola et al., 2017). Im Alter von 18 bis 34 Jahren bedauern 44,2 % der Raucher*innen, dass sie mit dem Rauchen begonnen haben (Pechacek et al., 2018). Aufgrund der Verschärfung der Gesetzgebung in Deutschland (u. a. rauchfreie Schulen, Rauchverbote in Gaststätten, am Arbeitsplatz, in öffentlichen Gebäuden) könnte die Aufhörmotivation Jugendlicher in den nächsten Jahren sogar weiter steigen. Neuere Längsschnittstudien zeigen, dass sich das Rauchverhalten von Jugendlichen jedoch verfestigt und sich beim Übergang ins Erwachsenenalter kaum verändert (Mauz et al., 2018). Das bedeutet, dass jugendliche Raucher*innen im Alter weiterhin rauchen und nichtrauchende Jugendliche im Erwachsenenalter in der Regel nicht mehr mit dem Rauchen beginnen. Das verdeutlicht die Relevanz der Präventionsarbeit bei Kindern und Jugendlichen und die frühe Interventionsarbeit bei jugendlichen Raucher*innen. 

Während nur 5 % der jugendlichen Raucher*innen angeben, sich selbst in fünf Jahren noch als Raucher*in zu sehen, rauchen 75 % auch noch nach acht Jahren (Sussman, Dent, Severson, Burton, & Flay, 1998). Eine Auswertung von 2.033 jugendlichen Raucher*innen aus dem Jahr 2008 zeigte, dass 63,5 % der Teilnehmer*innen innerhalb der letzten 12 Monate einen Ausstiegsversuch unternommen haben, wobei lediglich 10 % erfolgreich das Rauchen beendet haben (Abrantes et al., 2009). Diese Zahlen belegen einerseits einen Änderungswunsch der Jugendlichen bezüglich ihres Rauchverhaltens und zeigen andererseits den geringen Erfolg der Jugendlichen, tatsächlich mit dem Rauchen aufzuhören.

Tabakentwöhnungsprogramme für Jugendliche

Während sich die Mehrheit der Tabakentwöhnungsangebote vorrangig an Erwachsene richtet, ist es aus präventiver Sicht sinnvoll, Rauchende möglichst jungen Alters zu erreichen. Da beinahe 90 % der täglich erwachsenen Raucher*innen ihre erste Zigarette vor ihrem 18. Lebensjahr rauchen (Office of the Surgeon General, 2014), erhöht sich durch frühe Interventionen die Wahrscheinlichkeit eines Rauchstopps in einer frühen Phase der Abhängigkeit und bevor nachhaltige Schäden entstehen. Es existieren jedoch nur wenige Angebote, die sich speziell an Jugendliche und junge Erwachsene richten und auf ihre Wirksamkeit überprüft wurden.
 
Auf Basis des aktuellen Forschungsstands wird der Einsatz von Pharmakotherapien zur Tabakentwöhnung bei jugendlichen Raucher*innen nicht empfohlen. Wenige Studien mit geringen Fallzahlen lassen keinen Schluss zur Effektivität von Medikamenten und Nikotinersatzpräparaten zur Tabakentwöhnung bei Jugendlichen zu (Selph et al., 2019). Auch „Electronic Nicotine Delivery Systems“ (ENDS) wie E-Zigaretten und E-Shishas werden nicht zur Behandlung der Tabakabhängigkeit bei Jugendlichen empfohlen (Farber, Walley, Groner, & Nelson, 2015). Verhaltensinterventionen (z. B. persönliche Beratung, telefonische Beratung, Newsletter) zur Tabakentwöhnung in der Grundversorgung beim praktischen Arzt führen nicht zu einer Reduktion des Rauchens nach der Intervention (Selph et al., 2019). Aber auch hier ist es unklar, ob dies auf eine unzureichende Teststärke oder auf einen Mangel der Wirksamkeit der Interventionen zurückzuführen ist.  

Im Bezug auf evaluierte Tabakentwöhnungsprogramme die auf kognitiver Verhaltenstherapie basieren, wurde in einer Metaanalyse eine Aufhörrate von 11,8 % in der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe (7,5 %) gefunden (Sussman & Sun, 2009). Von US-amerikanischen Studien ist bekannt, dass Jugendliche mit Hilfe eines Ausstiegprogramms deutlich häufiger aufhören als ohne Unterstützung. Dabei liegen die Abstinenzquoten drei Monate nach der Intervention zwischen 5 und 17 Prozent, also bis zu doppelt so hoch als wenn sie keine Hilfe erfahren hätten (Sussman, Dent, & Lichtman, 2001). Weitere Untersuchungen legen nahe, dass insbesondere Interventionen im Gruppenkontext vielversprechend sind (Fanshawe et al., 2017).

Intervention im Setting Schule

Ausstiegsprogramme für jugendliche Raucher*innen, die im Schulsetting angeboten werden können, bieten einige Vorteile. Für die Schule als Durchführungsort spricht die gute Erreichbarkeit der Jugendlichen (Mermelstein, 2003; Sussman, Sun, & Dent, 2006). Erfahrungen von Anbietern im Setting Schule verweisen auf eine bessere Rekrutierung und höhere Haltequoten. Interventionen, die direkt nach Schulende stattfinden können, verringert den Aufwand für die Schüler*innen. Darüber hinaus fand eine Metaanalyse für schulbasierte Entwöhnungsprogramme signifikant bessere Ergebnisse als für nicht-schulbasierte Entwöhnungsprogramme (Sussman et al., 2006). Die Implementierung eines Interventionsprogramms bedeutet jedoch einen zusätzlichen organisatorischen Aufwand für die Schule und das Zustandekommen solcher Kurse hängt stark vom Engagement der jeweiligen Schule ab. 

Ausstiegsprogramm "Losgelöst" für jugendliche Raucher*innen

Das Ausstiegsprogramm Losgelöst wurde im Jahr 2008 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vom IFT Institut für Therapieforschung entwickelt. Die Entwicklung des Programms wurde von jugendspezifischen Theorien geleitet, um ein wirksames und ansprechendes Programm für Jugendliche zu konzipieren. In der ursprünglichen Konzeption wird das Programm von geschulten Schulsozialarbeiter*innen an Schulen mit einer Gruppe von vier bis acht teilnehmenden Schüler*innen durchgeführt. In fünf Gruppentreffen und einem Einzeltreffen werden die Jugendlichen anhand von kognitiv verhaltensbasierten Maßnahmen in ihrer Entwöhnung begleitet. Die ersten drei Gruppentreffen dienen zur Vorbereitung auf den Rauchstopp, welcher unmittelbar nach dem drittem Treffen erfolgt. Die darauffolgenden Treffen dienen der Stärkung der Selbstwirksamkeit und Motivation zur Aufrechterhaltung des Rauchstopps. In mehreren Einzelgesprächen nach der vierten Gruppensitzung werden persönliche Probleme und Schwierigkeiten der einzelnen Teilnehmenden besprochen und hierfür Lösungsmöglichkeiten eruiert. Darüber hinaus werden die Schüler*innen nach dem Rauchstopp mit SMS und Anrufen durch die Kursleitung unterstützt. Die Akzeptanz und Wirksamkeit des Programms wurde bereits im Rahmen einer Machbarkeitsstudie bestätigt (Bühler, Geier, Mattyasovzsky, Schwarz, & Wegmann, 2010). Nach vier Wochen waren 24,4 % der Kursteilnehmer*innen rauchfrei. Zusammengefasst weisen die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass mit „Losgelöst“ ein Tabakentwöhnungsprogramm zur Verfügung steht, das jugendliche Raucher*innen erreicht, anspricht und in der Maßnahme hält.
 
Im Zeitraum zwischen November 2018 und Oktober 2020 erfolgt am IFT Institut für Therapieforschung mit Förderung der BZgA eine Überarbeitung des Ausstiegsprogramms, mit dem Ziel es bundesweit nachhaltig an Schulen implementieren zu können. Das Ausstiegsprogramm wurde zunächst auf Basis der aktuellen Literatur inhaltlich überarbeitet und die Materialien graphisch an die Zielgruppe und den Stand der Zeit angepasst. In einem zweiten Schritt wird das Programm an Schulen im Rahmen einer exemplarischen Durchführung implementiert und bei Bedarf überarbeitet.
 
Im Rahmen der Pilot Implementierung werden in Interviews mit Schulleiter*innen und Kursleiter*innen notwendige strukturelle Rahmenbedingungen und Prozesse an Schulen erfasst, die für eine Implementierung des Programms an Schulen als notwendig angesehen werden. Bei der nach Durchführung des Programms anschließenden qualitativen Befragung der teilgenommenen Schüler*innen und Kursleiter*innen stehen sowohl die inhaltlichen als auch die organisatorischen Aspekte des Programms im Vordergrund. Nach der finalen Überarbeitung des Programms steht dem deutschsprachigen Raum ein evaluiertes, aktuelles Tabakentwöhnungsprogramm für jugendliche Raucher*innen zur Verfügung, das zunächst an Schulen eingesetzt werden kann. 

Referenzen

Abrantes, A. M., Lee, C. S., MacPherson, L., Strong, D. R., Borrelli, B., & Brow, R. A. (2009). Health risk behaviors in relation to making a smoking quit attempt among adolescents. Journal of Behavioral Medicine, 32, 142–149. doi:10.1007/s10865-008-9184-1 

Arrazola, R. A., Ahluwalia, I. B., Pun, E., Garcia de Quevedo, I., Babb, S., & Armour, B. S. (2017). Current Tobacco Smoking and Desire to Quit Smoking Among Students Aged 13–15 Years — Global Youth Tobacco Survey, 61 Countries, 2012–2015. Morbidity and Mortality Weekly Report, 66.
 
Atzendorf, J., Rauschert, C., Seitz, N.-N., Lochbühler, K., & Kraus, L. (2019). Gebrauch von Alkohol, Tabak, illegalen Drogen und Medikamenten. Deutsches Ärzteblatt, 116; 577-84.
 
Bühler, A., Geier, A., Mattyasovzsky, M., Schwarz, I., & Wegmann, L. (2010). Bundesweite Machbarkeitsstudie: Prozessevaluation eines neu entwickelten Ausstiegsprogramms für jugendliche Raucher und Raucherinnen. München: IFT Institut für Therapieforschung.
 
Fanshawe, T. R., Halliwell, W., Lindson, N., Aveyard, P., Livingstone‐Banks, J., & Hartmann‐Boyce, J. (2017). Tobacco cessation interventions for young people. The Cochrane Library(11). doi:10.1002/14651858.CD003289 

Farber, H., Walley, S., Groner, J., & Nelson, K. (2015). Section on Tobacco Control. Clinical practice policy to protect children from tobacco, nicotine, and tobacco smoke. Pediatrics, 136(5), 10081017.
 
Forouzanfar, M. H., Afshin, A., Alexander, L. T., Anderson, H. R., Bhutta, Z. A., Biryukov, S., ... , & Cohen, A. J. (2016). Global, regional, and national comparative risk assessment of 79 behavioural, environmental and occupational, and metabolic risks or clusters of risks, 1990-2015: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2015. The Lancet, 388(10053), 1659-1724.
 
Mauz, E., Kuntz, B., Zeiher, J., Vogelgesang, F., Starker, A., Lampert, T., & Lange, C. (2018). Entwicklung des Rauchverhaltens beim Übergang vom Jugend ins junge Erwachsenenalter–Ergebnisse der KiGGS-Kohorte.
 
Mermelstein, R. (2003). Teen smoking cessation. Tobacco control, 12, i25-i34.
 
Mons, U., & Kahnert, S. (2019). Neuberechnung der tabakattributablen Mortalität – Nationale und regionale Daten für Deutschland. Das Gesundheitswesen, 81(01), 24 - 33.
 
Office of the Surgeon General. (2014). Health consequences of smoking, Surgeon General fact sheet. Retrieved from Orth, B., & Merkel, C. (2018). Rauchen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2016 und Trends. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
 
Pechacek, T. F., Nayak, P., Slovic, P., Weaver, S. R., Huang, J., & Eriksen, M. P. (2018). Reassessing the importance of ‘lost pleasure’ associated with smoking cessation: implications for social welfare and policy. Tobacco control, 27(e2), e143-e151.
 
Seitz, N.-N., Lochbühler, K., Atzendorf, J., Rauschert, C., Pfeiffer-Gerschel, T., & Kraus, L. (2019). Trends des Substanzkonsums und substanzbezogener Störungen - Auswertung des Epidemiologischen Suchtsurveys von 1995 bis 2018. Deutsches Ärzteblatt, 116: 585-91.
 
Selph, S., Patnode, C., Bailey, S., Pappas, M., Stoner, R., Hart, E., & Chou, R. (2019). Primary Care Relevant Interventions for Tobacco and Nicotine Use Prevention and Cessation in Children and Adolescents: A Systematic Review for the U.S. Preventive Services Task Force. Retrieved from Rockville:
 
Sussman, S., Dent, C. W., & Lichtman, K. L. (2001). Project Ex. Outcomes of a teen smoking cessation program. Addictive Behaviors, 26, 425-438.
 
Sussman, S., Dent, C. W., Severson, H., Burton, D., & Flay, B. R. (1998). Self-initiated quitting among adolescent smokers. Preventive Medicine, 27(5 Part B), A19-A28.
 
Sussman, S., & Sun, P. (2009). Youth tobacco use cessation: 2008 update. Tobacco induced diseases, 5(1), 3.
 
Sussman, S., Sun, P., & Dent, C. W. (2006). A meta-analysis of teen cigarette smoking cessation. Health Psychology, 25(5), 549. 


Dr. Petra Berg
Dipl.-Psychologin
Tel.: +49 89 360 804 90
gesundheit(at)ift.de

Kirsten Lochbühler
Dipl. Psychologin, Leitung der Abt. Präventionsforschung am IFT-Gesundheitsförderung in München
Tel.: +49 89 360 804 90
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Darya Aydin
B.Sc. Psychologie, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IFT-Gesundheitsförderung in München
Tel.: +49 89 360 804 90
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