Wie junge Menschen wieder neue Lust am Leben gewinnen – Die Intensiveinrichtung NEUStart
Einen Neustart im wahrsten Sinne des Wortes haben unsere Jugendlichen aus allen Gegenden Deutschlands bitter nötig, wenn sie zu uns kommen. Die Mädchen und Jungen haben an Drogen oft so ziemlich alles probiert, was der Markt hergibt, sie haben schon lange keine Schule mehr von innen gesehen, haben sich mit Kleinkriminalität über Wasser gehalten – ihnen fehlt das, was viele Menschen für selbstverständlich halten: eine intakte Familie, echte Freunde, auf die man sich verlassen kann. Vertrauen, Verlässlichkeit, sichere Bindungen und Halt, das sind für sie nur abstrakte Begriffe, deren Inhalt viele von ihnen nie kennen lernen durften.
Die Abgeschiedenheit des Fürstenberger Wald- und Seen-Landschaftsschutzgebiets im äußersten Norden Brandenburgs ermöglicht ihnen, sich wieder auf sich selbst und ihre eigenen Kräfte zu konzentrieren. Die Einrichtung der Jugendhilfe der Johannesstift Diakonie ist oftmals die letzte Chance für die 14 bis 18-jährigen Jugendlichen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Sie sind, wie sie selbst sagen, „abgegessen“ von jeglicher Jugendhilfe. Teilweise haben sie bis zu zehn Psychiatrieaufenthalte hinter sich und sind immer wieder aus diversen Heimen geflogen. Sie glauben nicht mehr daran, dass sie noch etwas wert sind.
Bei uns stellen sie fest: Hier werden sie an- und ernst genommen. Wir interessieren uns für ihre Gedanken und Ideen – für viele Jugendliche eine ganz neue Erfahrung. Dies macht für uns das Besondere an unserer Arbeit aus, und wir bekommen von den Jugendlichen unendlich viel zurück. Es ist eine große Freude, wenn ein Jugendlicher es wieder wagt, zu vertrauen und wenn man ihn guten Gewissens in seine eigene Zukunft, in seine Selbständigkeit entlassen kann.
NEUStart bietet mit insgesamt 24 Plätzen in der Nähe von Fürstenberg/Havel (das Haupthaus mitten im Wald auf einem Gelände mit einer Größe von 75000 Quadratmetern, direkt an einem See gelegen und ohne Verkehrsanbindung) und in Gransee (Therapeutische Trainingswohnungen zur Verselbständigung) im Landkreis Oberhavel seit April 2002 differenzierte Hilfen für junge Menschen im Alter von 14-18 Jahren mit Verhaltensauffälligkeiten (wie Aggression, Depression), psychiatrischen Störungsbildern (wie emotionale Instabilitäten) sowie Drogenmissbräuchen an.

Es kümmern sich insgesamt ca. 30 Mitarbeitende (pädagogische Fachkräfte, Sozialarbeiter*innen, psychologische Fachkräfte und Lehrkräfte) um die jungen Menschen.
NEUStart verfolgt das Ziel, die Jugendlichen auf eine selbstbestimmte, aktive und drogenfreie Lebensgestaltung vorzubereiten.
Den therapeutischen Kern bilden fünf Elemente:
- Ein tägliches Arbeitstraining in den Bereichen Gartenlandschaftsgestaltung, Malerei und Lackiererei, Hauswirtschaft sowie Holzarbeiten. Hierbei geht es natürlich nicht darum, eine gewisse Leistung in einer bestimmten Zeit zu schaffen. Vielmehr stellt das Arbeitstraining ein wichtiges Medium zur Beziehungsaufnahme und –intensivierung dar. Das Arbeitstraining ist durchaus auch dafür geeignet, Jugendliche „runter“ zu holen, die verschiedene fachliche Formulierungen aus diversen Hilfekonferenzen aufgeschnappt haben, sie bei uns in Gesprächen einsetzen und damit beeindrucken wollen. Ein Jugendlicher sagte mit 15 Jahren einmal bei uns auf die Frage, was er denn bei NEUStart erreichen wolle: „Ich bin in einer sehr misslichen Lage, muss diese aber erst einmal kritisch reflektieren, mein individuelles Koordinatensystem neu sortieren und justieren und mich nach der Zeit bei NEUStart in einem neuen soziokulturellen Millieu verorten.“ Wir fragten ihn, in welches soziokulturelle Millieu er denn wolle. Das konnte er nicht beantworten, weil er auch gar nicht wusste, was das war. Da ist es recht hilfreich, wenn unsere Mitarbeitenden sagen: „Komm, wir schippen zusammen Sand, bauen ein Zaun oder kochen ein vernünftiges Mittagessen, so dass Du was auf die Rippen bekommst.“
- Eine sozialpädagogische Betreuung. Den jungen Menschen werden jeden Tag sechs Angebote aus dem Sport- und Kreativbereich gemacht, aus denen sie zwei auswählen müssen. Zusätzlich bieten wir Anti-Gewalt- und Soziale-Kompetenztrainings an.
- Einen Sozialdienst. Unsere Sozialarbeiter*innen begleiten die jungen Menschen intensiv, wenn es gegen Ende der Maßnahme in den meisten Fällen um eine Verselbständigung geht. Die jungen Menschen werden unterstützt, wenn es darum geht, ein Praktikum zu erlangen und durchzuhalten, wir führen mit ihnen gezielte Bewerbungstrainings durch und begleiten sie bei notwendigen Behördengängen. Auch bei der Beschaffung einer eigenen Wohnung sind wir behilflich und dies ggf. auch bundesweit.
- Ein psychologischer Fachdienst. Unsere Psycholog*innen sind eng mit dem Team verzahnt und begleiten federführend den gesamten Hilfeprozess. Dazu gehören die Ausgestaltung des Hilfeplans genauso wie Kriseninterventionen, die Familienarbeit oder auch regelmäßige Einzel- und Gruppengespräche. Zudem werden den jungen Menschen auch Entspannungsangebote gemacht. Ein Therapiehund ergänzt das therapeutische Angebot.
- Eine interne Beschulung im Einzelunterricht unter Aufsicht des Staatlichen Schulamtes, das zwei Lehrerstellen finanziert. Da diese für eine Beschulung aller Jugendlichen nicht ausreichen, beschäftigt NEUStart weitere Lehrkräfte, die auf Spendenbasis finanziert werden. Insgesamt gesehen konnten ca. 60 Prozent aller Jugendlichen, die seit 2002 bei NEUStart waren, mit unserer Hilfe einen staatlich anerkannten Schulabschluss erlangen. Unterrichtet werden alle relevanten Hauptfächer.
Einen ganz besonderen Moment und Höhepunkt im Jahr stellt jeweils die Feier zur Zeugnisübergabe dar. Die schweren Prüfungen sind dann endlich bestanden.
Und was haben die Jugendlichen nicht alles erlebt bevor sie soweit sind.
Zum Beispiel Sabine, die Tochter einer alkoholkranken Mutter, die von ihrem Vater geschlagen wurde, sehr viel Wut aufgebaut hatte und zweimal wegen ihres aggressiven Verhaltens aus anderen Heimen entlassen worden ist. Sie konsumierte Drogen und Alkohol. „NEUStart war das Beste, was mir passieren konnte“, sagte sie voller Freude als sie ihr Zeugnis in den Händen hielt. Sie hat danach eine Ausbildung zur Mechatronikerin in einem Autohaus absolviert.
Oder Dirk, der vor der Maßnahme in einer richtigen „Null-Bock-Stimmung“ war. Schule war kein Thema für ihn. Er konsumierte Drogen, hatte massiv an Gewicht verloren. Dazu kamen noch kleinere Straftaten wie Diebstahl und Betrug. Dirk wusste nicht mehr, was er wollte, und alle Fachkräfte zweifelten daran, dass er überhaupt je etwas zu Ende bringen würde. Bei NEUStart wurde ihm aufgezeigt, dass er nur mit viel Fleiß etwas erreichen kann, und nach und nach konnte Dirk diese Chance für sich annehmen. Besonders gern kochte er in der Großküche der Einrichtung, und hat diese bei uns entdeckte Leidenschaft zu seinem Beruf gemacht.
Wie gelingt es nun, die jungen Menschen im oft für sie harten Alltag jeden Tag aufs Neue zu motivieren, an sich und ihren Zielen zu arbeiten?
Hierfür haben wir ein verhaltenstherapeutisch ausgerichtetes Fünf-Stufen-Modell entwickelt. Die Jugendlichen bekommen dabei für erwünschtes Verhalten (Bsp.: Einhalten der Zimmerordnung, Ämter erledigen, Hausaufgaben anfertigen, Absprachen einhalten etc.) Punkte. Haben sie eine bestimmte Punktezahl erreicht, steigen sie in die nächsthöhere Stufe auf. Jeder Aufstieg wird mit einer feierlichen Hausversammlung und einer Urkunde gewürdigt. Mit dem Erreichen einer neuen Stufe stehen ihnen Privilegien zu wie bspw. Wochenendbeurlaubungen oder auch die Gestaltung von Freizeitaktivitäten. Natürlich gibt es auch Abstiege, wenn die Jugendlichen zu viele Regelverstöße „gesammelt“ haben, allerdings mit der Option auf einen schnellen Wiederaufstieg.
Sie haben es somit ein Stück weit selbst in der Hand wie erfolgreich sie sind und können sich und ihre Fortschritte selbst messen.

Der Alltag ist oft hart und von vielen Krisen geprägt, und er bringt Jugendliche wie Mitarbeitende immer wieder an ihre Grenzen.
Zeigt ein Jugendlicher krisenhaftes Verhalten (bspw. Aggression), greift unser Krisenmanagement. Wir haben jederzeit die Möglichkeit, den jungen Menschen aus dem Gruppengeschehen herauszuziehen und in die 1:1-Beziehung, wenn nötig auch für mehrere Tage, zu gehen. Für die Gestaltung einer Krisenmaßnahme richten wir uns ganz nach den Bedürfnissen des Jugendlichen. Wir verfügen über eine einfach eingerichtete eigene Krisenwohnung, in der die jungen Menschen geerdet werden können. Genauso ist es aber auch möglich, mehrtägige erlebnispädagogische Settings zu arrangieren (Wanderungen, Floßfahrten etc.). Das Hauptziel lautet immer: Wie geht es zurück in die Gruppe und wie kann somit eine Entlassung verhindert werden?
NEUStart vertritt einen haltenden Ansatz. Unsere Mitarbeitenden versuchen, möglichst viel zusammen mit den Jugendlichen durchzustehen. Bei uns ist nicht nach drei Regelverstößen Schluss. Wenn wir uns für einen Jugendlichen entschieden haben, dann haben wir uns entschieden.
Um so intensiv arbeiten zu können, ist die Mitarbeiter*innenpflege für uns das oberste Gebot. Jeder im NEUStart-Team hat mindestens 10 Tage im Jahr für Fortbildungen zur Verfügung. Zusätzlich bieten wir Einzel- und Gruppensupervision sowie spezielle Einzel- und Gruppencoachings an.

Die Einrichtung hat sich seit ihrem Bestehen einen Namen in der Region gemacht. Regelmäßig finden Tage der offenen Tür statt. Gerne engagieren sich die Mitarbeitenden auch bei Veranstaltungen wie beispielsweise beim Brandenburger Wasserfest. In der NEUStart-Küche wird das Mittagessen auch für eine Fürstenberger Kita gekocht, und die eigene Trommelband drum attack bereichert mit zahlreichen Auftritten im Land viele Veranstaltungen.
Der Leiter, Herr Schröder, wohnt direkt auf dem Gelände im Wald. Sein Haus ist auf einem Hügel, von dem aus er alles im Blick hat. Somit ist bei NEUStart das traditionelle diakonische Prinzip des gemeinsamen Wohnens, Lebens und Arbeitens mit den Klient*innen noch verwirklicht.

Thomas Sarzio
Assistent der Bereichsleitung
Jugendhilfe Nord / Jugendsuchthilfe
Johannesstift Diakonie Jugendhilfe
Tel.: +41 33087 537 10
thomas.sarzio(at)jsd.de