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Von Dieter Bolte

Ich bin suchtkrank – gibt es heutzutage Vorurteile?

Zu Beginn meiner Alkoholabstinenz (1992) waren überall Vorurteile gegen Suchtkranke zu hören und natürlich auch zu spüren. Viele von uns fühlten sich wie Versager und wurden auch so behandelt. Gottlob hat sich die Situation bis heute sehr gewandelt. Vielerorts wird Menschen, die in Abstinenz leben, sogar mit Hochachtung begegnet. Ich persönlich gehe sehr offen mit meiner Suchterkrankung um und spüre dabei sowohl am Arbeitsplatz als auch im privaten Umfeld teils große Anerkennung.

Und dennoch gibt es (immer noch) Vorurteile gegen uns und unsere Krankheit. In vielen Gesprächen, von denen ich hier einige inhaltlich wiedergebe, wird deutlich, dass es gegen uns, aber auch unter uns, Stigmatisierung und Vorurteile gibt. Die Namen der Beteiligten lasse ich weg:

„Wie gut, dass die Entgiftung meines Mannes im Krankenhaus stattfindet. So brauche ich nicht sagen, dass ich meinen Mann in der Entgiftung besuche, sondern kann meinen Kolleginnen einfach sagen – ich fahre zu meinem Mann. Der befindet sich im Krankenhaus.“

Diese Frau hat mir versichert, dass sie ihren Mann wohl in einer reinen Therapieeinrichtung aus Scham nicht besucht hätte.

Ich liebe den Moment während unserer Suchtpräventionsveranstaltung an einer Gesamtschule mit 14-jährigen Jugendlichen, wenn wir uns als Alkoholiker, Spieler usw. outen, und die Kids merken, dass wir ganz „normal“ sind – eben wie ihre Eltern oder Großeltern sind, Berufen nachgehen und nicht heruntergekommen sind, und mit Plastiktüten für die Bierdosen umherirren. In diesem Moment wird mir überdeutlich, wie sehr so junge Menschen schon von Vorurteilen geprägt sind.

Bei der Suchtselbsthilfevorstellung in der Entgiftungsstation:

„Mein Arbeitgeber darf auf gar keinen Fall erfahren, dass ich hier zur Alkohol-Entgiftung bin. Ich fürchte sonst rauszufliegen.“
(Mir ist bekannt, dass es in jenem Betrieb, ca. 1000 Mitarbeiter, ein betriebliches Suchthilfesystem gibt.)

In dem Verein XY (Suchtselbsthilfe) wurde ein neuer Kassierer gebraucht. Seit langem arbeitet dort ein jahrelang spielfreier Spieler mit, der diese Aufgabe übernehmen wollte und, wie sich bald herausgestellt hat, auch sehr gut erfüllt.  Da wurden selbst von Alkoholabhängigen und -angehörigen massivste Vorurteile skandiert: „Spieler können nicht mit Geld umgehen“, „Spieler betrügen“, „Spieler hauen mit der Kasse ab“, „Spieler verzocken Deine Kasse“. Der ganze Disput hat am Ende dazu geführt, dass einige der Parolengeber diesen Verein verlassen haben.

Eine Liste ließe sich so fortführen. Es zeigt sich, dass Suchtkrankheit eben in den Köpfen vieler Mitmenschen noch immer anders angesehen wird als andere Krankheiten – so als gäbe es eine Mitschuld, Charakterschwäche oder Versagen bei den Patient*innen. Das es anders ist, belegen viele Aktive in unserer diakonischen Suchtselbsthilfe.


Dieter Bolte
stellv. Landesvorsitzender
Blaues Kreuz in der Evangelischen Kirche
Landesverband NRW e.V.
d.bolte(at)bke-nrw.de