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Von Jürgen Naundorff

Schau nicht wie gebannt auf die Sucht!

Ein Beitrag für die Selbsthilfe

Wohl keine andere Gruppe von Menschen, die erkrankt ist, definiert sich so sehr über das eigene Krankheitsbild. „Mein Name ist Max, ich bin Alkoholiker.“ Die Geschichte, wie suchterkrankte Menschen gesehen wurden, ist eine, die zwiespältige Gefühle weckt und traurig macht.

Bis vor einem halben Jahrhundert wurden suchtkranke Menschen noch als primär asozial und willensschwach angesehen. Das führte zu Verachtung und Ausgrenzung!

In den vergangenen Jahrzehnten dominierte die Vorstellung vom kranken Menschen, der in seiner Sucht hilflos ist, und massive Unterstützung von außen benötigt. Nun wurden Experten gebraucht. Die sollten dem Suchtkranken und seiner Familie helfen, Sucht überwinden zu können. Dabei kamen die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Sucht- und Selbsthilfe häufig an ihre Grenzen. Sie fühlten sich überfordert.

Aufgrund dieser Erfahrungen wurden Suchtkranke häufig als „unheilbare“ Menschen angesehen, die in ihrer aktiven Sucht begleitet werden müssen, damit sie möglichst lange überleben. Wie nun weiter?

Beziehungsmuster statt Krankheitsbilder

Neben der favorisierten biomedizinischen Sichtweise vom suchtkranken Menschen entwickelten sich vor mehr als einem halben Jahrhundert an verschiedenen Orten neue therapeutische Herangehensweisen, die u.a. in der so genannten Systemischen Therapie zusammengefasst sind. Es wird z.B. angenommen:

  1. Sucht hat immer eine Geschichte! Und die ist aufs Engste mit den Beziehungen in den Familien und im Umfeld von Sucht belasteten Menschen verbunden.
     
  2. Deshalb: Schau nicht zuerst auf das Phänomen Sucht! Interessanter sind die Beziehungsmuster, in denen das Phänomen Sucht entstanden ist und wichtig wurde.
     
  3. Wer etwas nachhaltig ändern will, darf nicht zuerst das Phänomen Sucht abschaffen wollen: „Trink keinen Alkohol mehr!“ oder „Hör auf, Drogen zu nehmen!“ Vielmehr müssen die Beziehungen anders, geeigneter gelebt werden. So dass es die Sucht nicht mehr braucht.
     
  4. Jeder Verbund von Menschen (z.B. eine Familie) steckt voller Ressourcen, die es zu entdecken gilt. Diese Ressourcen sind das Potential, um die Beziehungen zum Beispiel in einer von Sucht belasteten Familie verändern und verbessern zu können.

„Seismographen“ statt „Symptomträger“

 „Unser Kind nimmt Drogen! Bitte helfen sie uns. Es ist unerträglich. Wir wünschen uns so sehr, dass es damit aufhört. Wie kann es uns gelingen, dass unser Kind eine Therapie macht?“ Solche und ähnliche Sätze kennen Menschen, die ehren- oder hauptamtlich in der Selbsthilfe (z.B. einer Angehörigengruppe) bzw. in einer Suchtberatungsstelle engagiert sind. 

Wie verständlich! Welche Eltern wünschen sich nicht, dass das Kind keine Drogen mehr nimmt und somit symptomfrei wird. Doch dabei wird schnell übersehen, dass sich solche Symptome in einem Kontext, einem Zusammenhang befinden. Nicht selten ist es die Familie. Deshalb kann folgende wichtige Frage einen ganz neuen Blickwinkel auf die Symptomatik Drogengebrauch werfen: „Was will uns (unbewusst) unser Kind damit sagen?“ Diese Frage klingt auf dem ersten Blick befremdlich. Auf den zweiten Blick wird deutlich: Kinder können in Familien ein wichtiger, feinfühliger „Seismograph“ sein. Sie können kleinere und größere „Erschütterungen“ in Familien „auf-zeichnen“ und darauf mit einem wie auch immer gearteten auffälligen Verhalten reagieren. Nicht selten entwickeln sie Symptome wie Bettnässen, Drogengebrauch und Hyperaktivität. Oftmals verkennen Eltern die Bedeutung dieser Symptome und haben nur ein Bestreben: Unser Kind muss so schnell wie möglich symptomfrei werden. Deshalb wird nicht selten vorschnell zu Medikamenten gegriffen oder in einer Entgiftung von der Droge die alleinige Hilfe gesehen. Der „Seismograph“ wird zum Schweigen gebracht. Er „sendet“ nicht mehr. Scheinbare Normalität stellt sich in der Familie wieder ein. Aber Seismographen reagieren nur in begründeten Fällen. Irgendetwas muss den Seismographen zum Schwingen gebracht haben. Dieser Hintergrund ist ja immer noch da!

Bei einzelnen körperlichen Symptomen leuchtet es uns schnell ein, dass die dahinterstehende Krankheit behandelt werden muss. Und wie ist es bei den Symptomen Drogengebrauch, Drogen- bzw. Alkoholabhängigkeit? Hier wird nicht selten Symptom und der auslösende Hintergrund gleichgesetzt und somit wichtiges übersehen. Die Tochter nimmt Drogen (Symptomatik), weil sie drogenabhängig ist (dahinterstehende Krankheit). Doch hier ist nur der biologische Hintergrund erfasst, das sogenannte Abhängigkeitssyndrom. Es ist ein wichtiger Faktor, aber häufig nicht der entscheidende, der den „Seismographen zum Schwingen gebracht hat und am Schwingen hält“.

Schauen wir uns den sozialen Hintergrund etwas genauer an, das nähere Umfeld des Konsumierenden bzw. Abhängigen (z. B. Familienangehörige und wichtige Freunde). Der oft isoliert gesehene Ge- und Missbrauch von Suchtmitteln ist – so die Annahme in der Systemischen Therapie – ein beziehungsgestaltender Beitrag. Im Blick auf die nächsten Bezugspersonen des Abhängigen kann dessen Verhalten besser verstanden werden. Denn das Symptom (z. B. Drogengebrauch) hat eine Funktion im System (z. B. Familie).

Fragen statt Antworten

Was hilft denn nun? Allgemein: Reden! Speziell: Gemeinsam Fragen beantworten! Die Fragen sollten sich dabei im Kern auf die Beziehungen untereinander konzentrieren, so genannte „systemischen Fragen“. Das sind Fragen, auf die man nur so antworten kann, dass etwas über die Beziehungen untereinander gesagt wird.

In einem Selbsthilfe-Seminar schilderte eine Teilnehmerin, seit längeren verheiratet, dass ihr Sohn bisher mit seinen schulischen Leistungen immer im vorderen Mittelfeld seiner Klasse lag. Binnen weniger Monate aber sackte er leistungsmäßig gravierend ab. „Wenn das so weitergeht, ist er versetzungsgefährdet“, befürchtete sie. Sie wollte gern wissen, wie sie ihrem Sohn helfen könnte, schulisch wieder besser zu werden. Nachdem einige Vorschläge der anderen Seminarteilnehmer diskutiert wurden, stellte der Gesprächsleiter eine erste beziehungsorientierte Frage: „Was hat sich seit dem Auftauchen des Problems in ihrer Familie geändert?“  Darauf sie: „Na ja, mein Mann und ich mussten uns viele Abende gemeinsam den Kopf zerbrechen, wie wir unserem Sohn helfen können, schulisch wieder besser zu werden. Wir sind nicht immer einer Meinung. Aber irgendetwas müssen wir doch tun!“ Das Symptom „schulische Misere“ hatte bewirkt, dass das Ehepaar mehr miteinander sprach, sich näherkam und auf Grund unterschiedlicher Auffassungen Kompromisse suchen musste, um handlungsfähig zu bleiben. Angenommen, dieses Symptom „schulische Misere“ hat die Funktion, „die Ehe der Eltern zu stabilisieren“. Angenommen, dieses Symptom will signalisieren: „Achtung, die Familie droht auseinander zu brechen“. Dann müsste dem Sohn gezeigt werden, dass seine Sorge unberechtigt ist, dass Vati und Mutti sein Symptom nicht brauchen, um beieinander zu bleiben. Das nahm der Gesprächsleiter an und stellte eine zweite beziehungsorientierte Frage: „Woran könnte denn ihr Sohn erkennen, dass sie und ihr Mann sich liebhaben?“ Diese Frage kam für die Teilnehmerin überraschend und sie überlegte einige Zeit. Dann antwortete sie: „Das kann er nirgends erkennen.“ Am Ende dieser Gesprächsrunde war ihr klar: Was wir für unsere Ehe tun, kommt uns und unserem Sohn zugute. Der Sohn braucht dann dieses Signal in Form des Symptoms nicht mehr zu senden. Obwohl ihm gar nicht bewusst war, dass er mit dem Symptom so ein wichtiges Signal ausgesendet hatte.

Es geht nicht darum, eine Selbsthilfegruppe zu einer therapeutischen Gruppe umzuformen. Das Beispiel soll verdeutlichen, wie wichtig es ist, über unsere Beziehungen zu sprechen. Wie gehen wir miteinander um? Worunter leiden wir? Was schätzen wir? Wer ist uns wichtig? Wie zeigen wir das?

Stellen Sie in der Selbsthilfegruppe weniger Fragen zum Symptom, also zu Alkohol, Drogen, Medikamenten, Abhängigkeit bzw. Sucht. Stellen Sie mehr Fragen zu den Beziehungen, die jedes Gruppenmitglied lebt und die in der Gruppe gelebt werden!

Ressourcen statt Defizite

Suchtkranke Menschen und deren Familien werden meist über ihre Defizite und Probleme beschrieben - und sehen sich häufig selbst so negativ. Man spricht von der Problemfamilie XY. Das hat Folgen! Kaum jemand scheint der Familie und schon gar nicht dem Suchtkranken zuzutrauen, dass sie bzw. er sich verändern könnte.

In einer Selbsthilfegruppe sprach ein Mitglied über das Thema Stärken und Ressourcen. Daran nahmen auch ein Vater und ein Sohn, beide alkoholabhängig, beide seit Jahren abstinent, teil. Der Moderator fragte sie, was sie denn aneinander schätzen würden, da sie sich doch schon so lange kennen? Verdutzt schauten sie ihn an. Hatten sie sich das jemals gegenseitig gesagt!? Doch dann begann der Vater aufzuzählen, was er an seinen Sohn schätzte, was nach seiner Meinung dessen Stärken waren. Das hatte der Sohn so noch nicht gehört. Dann schilderte der Sohn Stärken des Vaters, die er an ihm beobachtet hatte und schätzte. Ihm fiel es offensichtlich schwerer, diese zu benennen. Doch auch er benannte konkrete Stärken. Dieser kleine Dialog veränderte ihre Sichtweisen aufeinander. Die Gruppenstunde wurde für die Teilnehmer ein wichtiger Anstoß, mehr auf die Stärken und Ressourcen untereinander zu schauen als auf die Defizite.

In Familien mit Suchtproblematik werden häufig die Defizite thematisiert. Gegenseitig wirft man sich vor, was schlecht, defizitär ist – und verstärkt es damit! So dominieren die Defizite die Gesprächsthemen. Deshalb: Machen Sie die Stärken der einzelnen Familienmitglieder zum Thema! Würdigen Sie die Anstrengungen aller Familienmitglieder! Dadurch werden die „Lösungsnetzwerke“ im Gehirn des Einzelnen und in den Beziehungen der Familie gestärkt. Die „Problemnetzwerke“ im Gehirn und in der Familie können verkümmern.

Lösungen statt Probleme

Der Vater einer sechzehnjährigen Tochter saß mir gegenüber. Sie war von zu Hause ausgerissen und hatte mehrere Monate lang Drogen konsumiert. Doch vor einem halben Jahr war sie zurückgekommen und hatte sich erfolgreich von den Drogen abgewandt. Der Vater, ein engagierter Christ, betete bereits für seine Tochter, dass sie dauerhaft clean bleibe. Darüber hinaus wollte er wissen, was er noch tun könne, damit seine Tochter nicht wieder in die Drogensucht zurückfällt. Ich fragte ihn, wie denn seine Tochter den Ausstieg aus der Drogensucht geschafft hat und wie es ihr gelungen ist, 6 Monate clean zu bleiben. Beide Fragen beantwortete mir der Vater. Dabei erkannte er die im Gespräch offensichtlich gewordenen Ressourcen seiner Tochter. Am Ende des Gesprächs war dem Vater klar: Ich will meiner Tochter zeigen, dass ich es ihr zutraue, dauerhaft clean zu leben! Das nun gezeigte Vertrauen des Vaters wurde zu einer zusätzlichen, bedeutungsvollen Ressource für die Tochter in ihrem jungen Leben. Da traut ihr eine der wichtigsten Bezugspersonen, ihr Vater, zu, dass sie es schafft, dauerhaft ohne Drogen zu leben. Und wenn die Tochter rückfällig wird? Dann ist es besonders wichtig, dass ihr Vater es ihr dennoch weiterhin zutraut, „es zu schaffen“. Denn sie muss den Weg heraus aus der Sucht gehen. Das kann niemand anders für sie tun!

Wir hätten ausführlich über die Rückfallproblematik von jungen Drogenabhängigen sprechen können. Das mag auch berechtigt sein. Der lösungsorientierte Ansatz hat aber wenig Interesse an allgemeinen Erkenntnissen zu Problematiken. Zielstrebig geht es um geeignete Lösungen. Die Ressourcen ebnen den Weg zu den Lösungen. Hätten wir im Gespräch auf die vielen aktuellen Probleme geschaut, dann wäre dem Vater nie bewusstgeworden, welche Ressourcen in seiner Tochter steckten. Und er hätte nicht erkennen können, dass sein seiner Tochter gezeigtes Vertrauen die Lösung für seine wichtige Frage ist.

Chancen statt Festschreibungen

Der lösungsorientierte Ansatz geht davon aus, dass jede Krise beachtliche Chancen in sich birgt. Die können durch kleine Schritte genutzt werden. Wie gelange ich zu diesen kleinen Schritten?

  1. Ich schaue auf das, was mir früher bereits geholfen hat! Das sind Ressourcen in meiner Lebensgeschichte.
     
  2. Ich nutze die Chance, etwas Neues auszuprobieren! Etwas, was ich schon länger mal tun wollte. Oder eine Idee, die mir spontan kam. Oder eine Anregung, die ich in der vergangenen Gruppenstunde gehört habe.
     

In unsere Selbsthilfegruppen kommen auch Betroffene, die rückfällig wurden. Wenn deren Rückfall in der Gruppe thematisiert wird, taucht häufig als erstes die Frage auf: „Warum hast du wieder getrunken?“ Im lösungsorientierten Ansatz interessiert das nicht primär! Stattdessen wird gefragt:

  • „Wie ist es dir gelungen, in den Monaten vor dem Rückfall abstinent zu leben?“
  • „Was hast du da anders gemacht als in der Zeit des exzessiven Trinkens?“
  • „Was möchtest du jetzt wieder so tun, um abstinent zu bleiben?“

Ein Leitsatz lautet: Tu mehr von dem, was gut für dich ist und dir hilft! - Zugleich wird gefragt: „Was möchtest du anders machen?“ Diese Frage erlaubt, die Chancen zu sehen, um bestimmte Dinge anders zu tun. Am besten ist es, nur eine Sache anders zu machen. Wenn das gelingt, ist es ein weiterer großer Schritt, sich und seine Familie zu verändern.

Diese Sichtweise vermeidet, dass Panik in der Familie aufkommt, weil ein Familienmitglied rückfällig wurde. Setzen Sie sich mit Ihrer Familie zusammen und überlegen Sie:

  • „Worin liegen unsere Chancen?“
  • „Was kann jedes Familienmitglied weiter so wie früher tun, weil es gut für den Einzelnen und die ganze Familie ist?“
  • „Was will jedes Familienmitglied neu ausprobieren und verändern?“

Miteinander statt allein

Wenn es in Ehen und Familien „nicht mehr funktioniert“, dann drohen diese zu zerbrechen. Häufig versucht ein Mitglied aufopferungsvoll, die Familie zu retten. Für einen zu hohen Preis! Nur miteinander kann ein Weg in eine gemeinsame Zukunft gefunden werden. Deshalb miteinander statt allein! Aber wie?

Im Gespräch miteinander kann die so genannte Skalenfrage helfen. Ich möchte es am Beispiel einer zerstrittenen Selbsthilfegruppe verdeutlichen. In der Gruppe wird gefragt: „Stellen wir uns mal vor, unsere Gruppe könnte auf einer Skala von 0 bis 10 dargestellt werden. 0 würde heißen, dass die Gruppe überhaupt nichts Gutes mehr hat. 10 würde eine richtig tolle Selbsthilfegruppe kennzeichnen. Wo befinden wir uns jetzt auf dieser Skala?“ Stellen wir uns vor, die meisten Gruppenmitglieder würden „auf 2“ antworten. Dann kann weiter gefragt werden: „Warum sind wir nicht auf 0?“ Es wird erzählt, dass es doch noch Gutes und Erhaltenswertes in der Gruppe gibt. Wie es früher besser lief. Das man sich immer noch trifft. Ressourcen im Miteinander werden angesprochen. „Woran würden wir merken, dass sich unsere Gruppe etwas zum Guten verändert hat und nun auf 3 einzuordnen wäre?“ Vielleicht wird dann geantwortet: „Wenn wir uns ausreden lassen würden, die unterschiedlichen Auffassungen mal aushalten und wieder mal was gemeinsam unternehmen!“ Weiter kann gemeinsam überlegt werden, wie ihnen das gelingen kann. Und dann wird sich gemeinsam auf den Weg gemacht.

Einfach statt kompliziert

Der lösungsorientierte Ansatz in der Systemischen Therapie legt besonderen Wert auf eine einfache, verständliche Sprache. Statt abstrakter, beeindruckend klingender Worte Alltagsworte, statt langer Schachtelsätze klare einfache Fragen.

Was schätzt du am Vater, an der Tochter …? Was kann er oder sie gut?
Jedes Familienmitglied akzeptiert mit der Beantwortung dieser Fragen, dass die anderen Stärken haben – und wird ermutigt, diese konkret zu benennen.

Wofür bist du verantwortlich? Und wofür nicht?
Diese Frage impliziert, dass es Dinge gibt, für die wir verantwortlich und nicht verantwortlich sind. Und sie ermutigt, dies konkret zu benennen. Die Frage hilft, sich dessen mehr bewusst zu werden.

Wie kann die Mutter den Sohn noch besser unterstützen? (Und umgekehrt und auf alle bezogen)
Die Frage beinhaltet die Annahme, dass vorhandene Stärken noch mehr in die Familie eingebracht werden können – und liefert Ideen, wie dies konkret gemacht werden kann.

Woran aus deiner Kindheit erinnerst du dich gern? Wie hat dir das schon mal geholfen?
Durch diese Frage wird vermittelt, dass selbst eine als sehr schwierig erlebte Kindheit wichtige und bleibende Erfahrungen vermittelt, die später als hilfreich angesehen werden können!

Wie ist es dir gelungen, abstinent (spielfrei usw.) zu leben? – Und was würde deine Frau, dein Mann, dein Kind antworten?
Statt das Scheitern zu thematisieren, wird durch diese Frage das meist unverhofft gute Gelingen angesprochen. Dass setzt diese Frage voraus!

Und dann ist da noch die Wunderfrage:
Wenn Ihr Problem durch ein Wunder über Nacht weg wäre: Was wäre dann am nächsten Morgen anders? Was würden Sie anders machen? Was würden die anderen Familienmitglieder anders machen?
Die Wunderfrage erzielt drei Effekte: 1. Ein Wunder ist so unverbindlich (für ein Wunder kann ich ja nichts), dass ich in Ruhe Veränderungen fantasieren kann. 2. Ich erkenne, dass das, was ich nach einem Wunder tue, nichts Übernatürliches ist, sondern schlichte, handfeste Tätigkeiten. 3. Ich erkenne, dass sich zumindest ein kleiner Teil des Wunders bisher schon erfüllt hat. Das ermutigt mich, auch andere kleine Teile des Wunders einfach zu tun!

Konkret statt allgemein

Allgemein zu sprechen macht uns wenig angreifbar – es hilft uns aber auch kaum weiter. Erst konkretes zeigt (neue) Wege auf. Deshalb werde ich nochmals konkret – am Beispiel Gebet als Ressource. Teilnehmer in diakonischen Selbsthilfegruppen bekennen zum Beispiel: „Menschen beten für mich – das ist eine Ressource in meinem Leben.“ Hier lohnt es sich, konkret weiterzufragen: „Wofür beten sie konkret?“ „Was bedeutet das für dich, dass diese Menschen für dich beten?“ So erschließt sich besser, wie wichtig die Ressource Gebet ist.

Ich bin überzeugt, dass jede Leserin, jeder Leser beim Lesen dieses Artikels mindestens eine (!) Ressource bei sich, der Familie, dem Freundeskreis oder der Lebensgeschichte entdeckt hat.

Wir haben viele Stärken und viel Ermutigendes im Gepäck! Sie haben mehr Gutes in ihrem Lebensrucksack als bisher geglaubt.

Du und ich sind nicht schuld! Sie verzichten auf Schuldzuweisungen gegenüber anderen und sich selbst.

Gehen Sie anders miteinander um! Sie ändern gemeinsam die Beziehungsmuster zum Guten hin.

Ich kann mich nicht nicht verändern! Und weil Sie gar nicht anders können als sich zu verändern, gestalten Sie es aktiv mit.

Ich tue etwas anders! Und Sie überraschen sich selbst damit, indem es Ihnen gelingt.

Ich bin von allerhöchster Stelle unterstützt! In der diakonischen Selbsthilfe glauben viele Menschen, dass Gott ihnen seinen Segen gibt, wenn sie aufrichtig etwas verändern wollen. Ich mache Ihnen Mut, Gottes Fürsorge zu vertrauen.
 

Stollberg, den 10.03.2021

 


Jürgen Naundorff
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